3. Fortsetzung von meiner FF How To Be A Dragon
Kapitel 26 – Jetzt oder nie
Knurrend weiche ich vor den Wikingern zurück. Anaks Männer drängen mich in die Enge, anstatt mich weiter an zu greifen. Der Häuptling will vielleicht nicht, dass ich weiter verletzt werde, aber ich habe kein Problem damit weitere Schläge ein zu stecken.
Es wäre ein vergleichsweise geringer Preis für meine Freiheit, sollte ich endlich fliehen können.
Umringt von den vier übrigen Wikingern, habe ich allerdings auch kein Interesse daran, sie zu attackieren. Von sich aus werden sie mich nicht weiter angreifen. Einen Kampf zu provozieren würde das Risiko beinhalten, mich weiter zu verletzten, eventuell sogar ernsthaft, und damit gegen die direkten Befehle ihres Oberhauptes zu handeln.
Also habe ich kaum noch etwas von ihnen zu befürchten. Mit einem weiten Sprung setze ich über sie hinweg. Nun stehen sie zwischen mir und dem Ort, an dem sie mich eigentlich haben wollen.
Während ich sie aus den Augenwinkeln heraus weiter im Auge behalte, mustere ich die schwere Eisengittertür, welche mich von meiner Flucht abhält. Dahinter stehen noch immer die beiden Wikinger.
Am Rande höre ich das Gespräch zwischen Anak und Fjell mit, während ich weiterhin den Versuchen der Wikinger ausweiche, mich in meine Zelle zurück zu treiben.
Der Kapitän wollte schon geschäftig die Höhle verlassen, wird jedoch von Fjell aufgehalten: „Du kannst den Nachtschatten nicht für den Angriff benutzen.“
Anak lacht kurz und verächtlich auf. „Ich kann und ich werde. Nichts Geringeres wird von mir erwartet.“
„Was ich meine, ist, der Drache wird sich nicht von dir oder irgendjemand sonst benutzen lassen.“ , erklärt der Kerkermeister mit bestimmten Worten. „Hast du den Nachtschatten denn nicht beobachtet? Wie er gekämpft hat?“
Der Kapitän wirft Fjell einen zweifelnden Blick von oben herab zu, obwohl der Befehlshaber über die Flotte kaum größer ist, als der alte Wikinger.
„Ich sag dir, was ich beobachtet habe: Dieser Drache ist schnell und gefährlich, wenn er auch leider seine tödliche Seite noch nicht gezeigt hat.“
Ein hinterlistiges Grinsen breitet sich auf dem ohnehin schon verschlagenem Gesicht des Wikingers aus, „und dieser Drache wird mir zur rechten Hand des Häuptlings verhelfen, ob du damit einverstanden bist oder nicht.“
Fjell schaut sein Gegenüber grimmig an. „Noch mal. Dieser Drache wird sich nicht benutzen lassen,“ wiederholt er sich, diesmal bestimmter, „weil er zu schlau dafür ist. Sieh es ein, du hast hier keinen gewöhnlichen Drachen vor dir.“
„Nein, absolut ein außergewöhnlicher Drache, denn der hier, mein lieber Fjell, wird auch als der ruchlose Spross von Blitzschlag und des Gevatter Tod bezeichnet.“ , unterbricht Anak den älteren Wikinger altklug.
„Dies ist kein gewöhnlicher Drache,“ fährt Fjell ärgerlich fort: „,weil er viel cleverer gekämpft hat, als die übrigen Drachen. Das hättest du gemerkt, wenn du dem Kampf aufmerksamer beobachtet hättest. Wie der Nachtschatten den Angriffen deiner Männer entgangen ist, wie er ihre Schläge erahnte und seine eigene Offensive. Die Art wie der Drache gekämpft hat war … anders alles was ich bisher gesehen hatte. Berechnend, mit Verstand. Vor allem aber schien er zu erahnen, was deine Männer vorhatten.“
In der Zwischenzeit habe ich mir endlich etwas Freiraum erkämpft, genug um an den Wikingern vorbei zu stürmen und mit einem weiten Sprung auf die große Tür zu zu hechten.
Es ist nicht ideal, aber wenn ich fliehen will, muss ich es jetzt versuchen, bevor meine Chance endgültig vertan ist. Sonst bietet sich mir wahrscheinlich so schnell keine Gelegenheit mehr.
Mit aller Kraft, die ich nach diesem kräftezerrenden Kampf noch aufbringen kann, und mit der vollen Wucht des Sprunges werfe ich mich gegen das Gitter.
Gerade mal ein paar Zentimeter gibt das Eisen nach, nicht genug um es zu verbiegen oder dem Schloss auch nur den geringsten Schaden zu zufügen.
Nein. Ohne jede Aussicht und fürchterlich ratlos stehe ich vor dem einzigen Weg nach draußen und starre auf das Schloss. Nein! Kochende Wut steigt in mir auf. Irgendwie muss ich doch hier raus kommen. Irgendwie...
In rasender Wut bäume ich mich auf und lasse in meiner vollkommenen Verzweiflung meine Krallen auf den Riegel niederfahren.
Hinter dem undurchdringlichen Eisengitter erschallt ein hämisches Lachen.
Zu Fjell gewandt deutet Anak mit ausgestrecktem Arm auf meinen verzweifelten Versuch das Schloss zu öffnen. „Das nennst du intelligent? Ich sage dir, was ich sehe. Eine rasende, kopflose Bestie, die jeden angreift, der ihr zu nahe kommt; und ich werde eine Waffe aus ihr machen, um sie auf unsere Feinde zu richten. Wenn auch nur der Funke von Intelligenz in diesem schwarz geschuppten Schädel vorhanden wäre, würde dieser Drache erkennen, dass es nichts bringt sich auf zu lehnen und gegen das alles an zu kämpfen. Er würde sein Schicksal akzeptieren.“
Nein, in gewisser Weise hat Anak Recht, so erreiche ich rein gar nichts. Nur wild drauf ein zu schlagen, bringt absolut nichts.
In meinen Überlegungen vertieft halte ich inne und wende mich von der Tür ab. Ich muss schlauer vorgehen.
Langsam lasse ich meinen Blick durch die Höhle schweifen auf der Suche nach irgendetwas, das mir vielleicht helfen könnte aus diesem Kerker zu entfliehen.
Mir sollte lieber schnell etwas einfallen, sonst bin ich schneller zurück im Käfig als mir lieb ist.
Mein Blick bleit an den immer näher kommenden Wikingern hängen; genauer gesagt an einem der Wikinger. In meinen Kopf beginnt eine Idee Form an zu nehmen. Mir bleibt allerdings kaum noch Zeit.
Fauchend weiche ich abermals zurück, stoße jedoch schnell mit dem Rücken gegen die Wand hinter mir. Es ist ein eilig ersonnener, nicht durchdachter Plan, aber immerhin etwas.
Ich setze an, um erneut über die Männer zu springen. Ein stechender Schmerz durchzuckt meine gesamte linke Seite und ich knicke mit dem Vorderbein ein. Ein rascher Blick auf meine Wunde verrät mir, dass weiterhin Blut herausströmt und dickflüssig auf den Boden tropft.
Mühsam richte ich mich auf.
Ich taxiere die Männer mit ihren Waffen vor mir und horche in mich hinein. Trotz meiner Wunde muss ich es jetzt wagen, ansonsten habe ich meine Chance endgültig vertan.
Also jetzt oder nie.
Kapitel 27 – Aussichtslos?
Entschlossen stürme ich vorwärts, kämpfe weiter einen hoofnungslosen Kampf ohne Ausweg.
Aber ich habe einen Plan.
Vielleicht ist er aussichtslos und rührt aus Verzweiflung, aber er ist alles, was ich habe; alles, auf das ich noch setzen kann, um von hier zu fliehen.
Schnell werfe ich einen Seitenblick auf den einen Wikinger, der mich auf eine Idee gebracht hat.
Mit einem Schrei springe ich auf einen der anderen Wikinger und werfe ihn um, als ich mich sofort wieder abstoße.
In ein paar Sprüngen bin ich um die weiteren Männer herum, ohne sie näher zu beachten.
Meine Aufmerksamkeit gilt dem einen Wikinger, den ich zu meinem Ziel auserkoren habe.
Dieser hat keine Zeit mehr sich umzudrehen, als ich knapp neben ihm zum Stehen komme und ich schnappe nach seinem breiten Gürtel. Leider hat es nicht so einen großen Effekt, wie ich gehofft hatte, und der Wikinger kann sich mit einem Ruck losreißen.
Gleich darauf schlägt er mit seiner Keule nach meinen Kopf.
Nicht imstande dem Hieb auszuweichen, wird mir als Folge kurz schwarz vor Augen und ich taumle zurück.
Von hinten kommen jetzt die anderen Wikinger und bilden einen Halbkreis um mich.
Dieser Schlag muss mich ziemlich fies getroffen haben, mein Sichtfeld ist irgendwie verschwommen und die Geräusche um mich herum höre ich nur wie durch Schafswolle.
Ohne klare Sicht oder Gedanken, weiche ich vor den Bewegungen um mich zurück.
Ich blinzle mehrmals hintereinander und schüttle leicht den Kopf.
Endlich klärt sich mein Blick. Doch bevor ich noch etwas anderes tun kann, als nur zurück zu weichen, ergreift ein Wikinger das Gitter neben ihm und schlägt es vor meiner Nase zu.
Erst nachdem der Riegel vorgeschoben ist, wird mir klar, dass ich zu weit zurück gewichen bin. Sie haben mich in meine Zelle getrieben.
Perplex starre ich das Eisengitter vor meiner Nase an.
Dahinter stehen noch immer die fünf stämmigen Wikinger und feixen. Am liebsten hätte ich sie noch einmal ordentlich angebrüllt, ich lasse jedoch nur ein verhaltenes Knurren hören. In diesem Moment kommt auch Fjell mit grimmiger Miene angestapft und scheucht Anaks Schläger fort.
Seufzend schließt er meine Zelle ab.
Ungeduldig warte ich am Abend darauf, dass sich die Gefängnishöhle langsam leert. Schließt brennt nur noch in der kleinen Höhle von Fjell nahe des Eingangs Licht, die wohl auch als eine Art Besprechungsraum dient. Darin befinden sich Fjell und Anak, welcher vor einiger Zeit mit ein paar Plänen unter dem Arm in die Höhle spaziert ist und lautstark und unwirsch nach Fjells Mithilfe verlangt hat.
Endlich verlässt auch er die Höhle und Fjell beendet seinen abendlichen Rundgang.
Nachdenklich bleibt er vor meiner Zelle stehen und beobachtet mich.
Ob er sehen will, ob ich ernsthafte Ver¬letzungen von dem Kampf davon getragen habe oder nur aus Neugierde, kann ich nicht sagen.
Ruhelos tigere ich in meinem begrenzten Raum auf und ab.
Offensichtlich fasst der Kerkermeister meine Nervosität falsch auf, denn er hebt beruhigend die Hände.
"Ich will dir nichts tun.", leiser murmelt er: "Es wäre kein Wunder, wenn du jetzt bei jedem Wikinger nervös wirst, dieses brutale Yakhirn." Erbballt seine Hände zu Fäusten und seine Züge verhärten sich kurz.
Bei der Beleidigung, die offensichtlich auf Anak bezogen ist, bleibe ich belustigt stehen.
Kaum hörbar fange ich an zu brummen, bis Fjell mir einen entschuldigenden Blick zuwirft und sich zu seiner Höhle begibt.
Ich tripple von einem Bein aufs andere, während ich darauf warte, dass endgültig das Licht erlischt und die Höhle endlich verlassen ist.
Erst nach einem letzten misstrauischen Blick aus meiner Zelle, wage ich es mein Maul zu öffnen und die Früchte meines Plans auf den Boden gleiten zu lassen.
Leise klirrend landet der Schlüssel auf den nackten Stein.
Ein triumphierendes Lächeln stielt sich auf mein Gesicht.
Niemand hat es gemerkt, als ich dem Wikinger während des Kampfes den Schlüssel vom Gürtel geklaut habe!
Dieser dämliche Wikinger hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass er den Schlüssel hatte, um am Anfang des Kampfes meine Zelle aufzuschließen.
Rasch vergewissere ich mich noch einmal, ob die Höhle auch tatsächlich menschenleer und verlassen ist.
Ich kann mir jetzt nicht erlauben, erwischt zu werden. Dieser Schlüssel ist buchstäblich mein Schlüssel zur Freiheit; mein Weg hier raus. Schnell senke ich meinen Kopf, um behutsam den eisernen Schlüssel an Schlüsselring hoch zu heben und ihn zum Gitter zu tragen.
Die Schmerzen in meiner Schulter sind fast ver¬gessen. Nur ganz am Rande zieht der Schnitt bei jedem Schritt, den ich tue.
Vorsichtig versuche ich den Schlüssel zwischen zwei Krallen meiner rechten Klaue einzuklemmen. Ich darf ihn bloß nicht fallen lassen.
Ich knurre in mich hinein, als ich den Schlüssel bereits zum dritten Mal nicht richtig zu fassen bekomme und er auf den Boden fällt. Das leise Klimpern hallt durch die weitläufige Höhle. Ich empfinde dieses wahrscheinlich dezente Geräusch, wie einen Donnerschlag, der in den Gängen explodiert.
Ich halte zum dritten Mal inne, während ich inständig hoffe, dass niemand dieses verräterische Geräusch gehört hat.
Zum Glück scheint Fjell nicht davon aufgewacht zu sein.
Mein Knurren wird ungehalten und ich kicke den verdammten Schlüssel mit meiner Pfote gegen die Wand dieser dämlichen Höhle.
Mit meinen Krallen kann ich den Schlüssel einfach nicht halten, geschweige denn das Schloss draußen aufschließen. Ich starre wütend auf den Schlüssel. Plötzlich wird meine Wut von Verzweiflung überlagert, als mir die Ironie dieser Situation auffällt.
Ich hab mir den Schlüssel erkämpft. Ich besitze den Schlüssel zu meiner Zelle und kann doch nicht raus. Und warum das alles?
Ich sitze hier, weil ich kein Mensch mehr bin und ich komme hier nicht mehr weg, weil ich verflucht nochmal Krallen habe, keine Hände.
Was würde ich gerade jetzt für meine Hände geben...
Ich hatte versucht, meine Gedanken, meinen Ärger über die Verwandlung erst mal zurück zu stellen. Ich musste mich doch auf das konzentrieren, was vor mir lag und mich zu beschweren hätte doch auch nichts gebracht.
Ach scheiß drauf!
All das wäre niemals passiert, wäre ich nicht plötzlich mit Flügeln und Krallen aufgewacht.
Ich bohre letztere in den harten Untergrund der Höhle.
Ich könnte jetzt bei meinen Freunden auf meiner Insel sein, stattdessen sitze ich hier fest, im Besitz des Schlüssels und doch nicht in der Lage mich zu befreien, weil ich ein verfluchter Drache bin.
Vielleicht hat Anak ja Recht und es ist tatsächlich dumm weiterhin gegen etwas anzukämpfen, was ich offensichtlich, trotz meiner Mühen, nicht ändern kann.
Es wäre doch einfacher schlichtweg aufzugeben; auf zu hören zu kämpfen und mein Schicksal zu akzeptieren. Dann kam ich immerhin auch niemanden mehr verletzen, der mir wichtig ist.
Wut steigt in mir aus.
Nein! Anan ist ein Idiot und ein Schleimer. Keine Chance, dass er mit diesem Geschwätz richtig liegt.
Bei den Göttern, ich bin eine Wikingerin! Wir sind stur.
Nachgeben zählt nicht zu unseren Stärken und Aufgeben schon mal gar nicht! Und ich bin sicher, das trifft auch auf Nachtschatten zu.
Heiße Wut auf die Thursen und besonders Anak strömt durch meine Venen.
Ich stoße ein verhaltenes Brüllen aus, als mein Blick erneut auf den nutzlosen Schlüssel fällt.
Inzwischen hat sich die Hitze des Zorns in meinen ganzen Körper ausgebreitet. Vergessen sind die Verletzungen und die Hilflosigkeit.
Plötzlich brodelt die Hitze auch in meiner Kehle und ich brauche ein paar Augenblicke, um zu begreifen.
Ich nehme das vermaledeite Schloss ins Visier und nehme die Hitze bereitwillig an. Erlaube ihr sich weiter in meinem Rachen auszubreiten. Nun halte ich mich nicht mehr zurück
und ich schicke ein lautes Brüllen durch die Höhle.
Blitzhell leuchtet der Funke auf, der mein Feuer entzündet und einen gleißenden Ball aus Flammen auf das Schloss loslässt.
Ich schließe schützend meine Augen, als die darauffolgende Druckwelle über mich hinweg rollt.
Als ich sie wieder öffne, ist von dem Gitter, welches mich eingesperrt hat, nur noch eine verkohlte Hälfte drei Meter entfernt übrig.
Kapitel 28 – Bloß weg von hier
Ich zögere nur eine Sekunde aus Verblüffung, doch dann ergreife ich die Chance, auf die ich so lange gewartet habe.
In dem Wissen, dass ich ziemlichen Krach gemacht und wahrscheinlich sämtliche Wärter in den Höhlen geweckt habe, beeile ich mich aus der Zelle heraus zu kommen und auf den Ausgang zu zustürmen.
Doch auf einmal wird mein Weg versperrt.
Es wäre ja auch zu schön gewesen, hätte dieser Krach Fjell in der benachbarten Höhle nicht aufge¬weckt. Nun steht ebenjener direkt vor mir und blickt erschrocken und verblüfft von der rauchenden Tür vor meinem Gefängnis zu mir.
Er ist unbewaffnet, trotzdem spanne ich meine Muskeln an, bereit zu kämpfen. Mich hält jetzt nichts mehr auf!
Doch Fjell mach keine Anstalten mich an zu greifen. Stattdessen bleibt er regungslos stehen. Vielleicht ist ihm mehr als deutlich bewusst, dass er zwischen einem wütenden Nachtschatten und dessen Weg in die Freiheit steht. Kurz scheint er hin und hergerissen zu sein, dann hebt er die Hände, wie um zu zeigen, dass er tatsächlich unbewaffnet ist, und macht einen Schritt zur Seite, nur einen kleinen, doch dieser gib mir den Weg frei.
Ich gebe meine Angriffshaltung auf und für einen Moment stehen wir uns stumm gegenüber.
In Gedanken korrigieren ich mich: Nicht alle Thursen sind grausame Yakhirne.
Ich senke den Kopf zu einem dankbaren Nicken.
Nach einem letzten Blick auf den Kerkermeister, laufe ich los in Richtung Freiheit. Mir ist bewusst, dass außerhalb der Höhle wahrscheinlich mehr Hindernisse auf mich warten, und diese sind im Gegensatz zu Fjell wohl durchaus bewaffnet.
Wie soll ich blo...
Ich stolpere fast über meine eigenen Füße, als ich von einem Moment auf den anderen mitten im Lauf stoppe. Gerade als ich an Fjells kleinen Höhle vorbeihassten wollte, entdeckte ich etwas aus den Augenwinkeln. Trotzdem beanspruchte es sofort meine volle Aufmerksamkeit, riss mich aus meinen Überlegungen und zwang mich stehen zu bleiben.
Langsam gehe ich auf die Abzweigung in die Nebenhöhle zu und werfe einen genaueren Blick darauf.
Und hat mein Blut eben noch vor Wut gekocht, lässt dieser Blick es mir in meinen Adern gefrieren.
Dieses ganze Gerede der Thursen über einen nahenden Angriff, das Aufstocken der Waffen und ihrer Flotte.
Hier hängen die Pläne an den Wänden. Vermutlich sind es die Pläne, die Anak am Abend unter dem Arm getragen hatte.
Auf diesen sind deutlich die beeindruckende und erschreckende Ausmaßen der Streitkräfte von den Thursen gezeigt. Zusammen mit ein paar Strategieplänen und einer Insel.
Und dieser Teil lässt mich erstarren. Diesen Umriss würde ich jederzeit wiedererkennen – Fallow... Es ist mein Zuhause!
Die darauffolgende Erkenntnis lässt mich auf keuchen und entsetzt nach Luft schnappen. Die Thursen planen einen Großangriff auf meine Heimat.
Ich hab die Flotten im Hafen gesehen und mir wird das Ausmaß der Gefahr bewusst. Die Thursen haben die Streitkräfte um gut und gerne unsere Flotte auseinander zu nehmen und auf Fallow ist sich wahrscheinlich niemand im Klaren über dieses drohende Unheil.
Sie werden völlig unvorbereitet getroffen und dann...
Ich wage es nicht diesen Gedanken zu Ende zu denken.
Ich weiß nicht wie lange ich regungslos in dieser Höhle stand, doch nun löse ich mich aus meiner Starre und weiche entgeistert zurück. Ich muss sie warnen!
„Svenja! Ein Glück hab ich dich gefunden. Ich dachte schon, ich müsste alle Gänge absuchen.“
Verwirrt drehe ich mich um, reiße meinen Blick geradezu von der Abbildung meiner Insel und blicke in Richtung Ausgang, von wo der Ausruf gekommen ist. Dort vor dem sternenklaren Nachthimmel zeichnet sich die Gestalt eines kleinen Drachens deutlich ab.
„Rhao?“ frage ich ungläubig. „Was – was machst du denn hier?“ Immer noch stehe ich wie angewurzelt mitten in dem Gang und habe das Gefühl keinen klaren Gedanken fassen zu können.
„Es ist jetzt nicht die Zeit für Fragen. Komm, wir müssen jetzt los, er wird sie nicht ewig ablenken können.“ Der Schreckliche Schrecken schaut nach draußen und blickt mich dann durchdringend an. „Komm!“
Erst jetzt bemerke ich die Rufe und Schreie von außerhalb der Höhle und plötzlich flammt ein Licht auf, welches kurz die Nacht erhellt und schnell wieder verschwunden ist.
Es ist als würde ich mich jetzt auch erst wieder erinnern, wo ich bin und dass ich eigentlich fliehen sollte.
Endlich reagiere ich auf die Aufforderung und setzte mich in Bewegungen. Rhao wartet geduldig bis ich bei ihm angelangt bin und bedeutet mir dann, ihm zu folgen.
Leise schlüpfen wir in das nächtliche Dunkel vor den Gefängnishöhlen und mein Herz macht einen Satz als ich erkenne, was da draußen los ist.
Mehrere von den Wachen halten kampfbereit Schwerter und Äxte in den Händen, doch ihr Gegner lässt sich auf keinen Nahkampf ein. Ein kurzer Angriff, eventuell ein schneller Feuerstoß und der Drache ist wieder in der Nacht verschwunden. Freude und Erleichterung breitet sich in meiner Brust aus, als für weniger als eine Sekunde Wolkensturms Drachengesicht vom Fackelschein erhellt wird und sich sein triumphierendes Brüllen in das Geschrei der Wikinger mischt.
Ich muss wohl stehen geblieben sein, um die Kämpfenden zu beobachten, denn auf einmal stößt Rhao mich energisch an. „Wir hatten eigentlich gehofft, wir könnten ohne aufsehen zu erregen, hier rein schleichen, doch bedauerlicherweise wurden wir entdeckt. Los weiter!“ Mit diesen Worten flattert er los, fort von dem Gefängnis und dem Kampf, Richtung offenes Meer.
Ich beeile mich, ihm zu folgen und habe ihn bald darauf eingeholt. Es ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, doch ich genieße es meine Flügel wieder anständig auszustrecken und zu fliegen.
Ich habe in der Tat auch nicht lange Zeit es auszukosten, denn plötzlich erklingt dumpf das Läuten der Alarmglocke über dem Hafen der Thursen.
„Wir müssen uns wohl beeilen, sonst sind bald alle Wikinger der Insel hinter uns her.“, rufe ich dem Schrecken vor mir zu und drehe mich besorgt zu Wolkensturms Scharmützel mit den Gefängniswachen um.
Doch ich brauche mir keine Sorgen zu machen, offensichtlich hat dieser gesehen, wie wir uns aus der Höhle geschlichen haben und hält nun mehr Abstand, beschäftigt die Wikinger aber weiterhin.
Mit einem Schlag kommt Bewegung in das Dorf der Thursen und dem Hafen. Aufgeweckt durch den Lärm der Glocken wuseln Wikinger unter uns herum und Fackeln werden entzündet.
Rhao nimmt eine Position direkt über meinem Rücken ein, vermutlich weil meine Schuppenfarbe am Nachthimmel weniger auffällt als seine.
Ich schlage einen leichten Bogen nach rechts, damit wir nicht direkt über das Dorf hinweg fliegen, und schaue noch mal zurück zum Höhleneingang.
Inzwischen ist es dort ruhig geworden. Die Wikinger stehen ratlos rum und starren in den tiefschwarzen Himmel. Wolkensturm hat sich zurückgezogen und ich entdecke ihn ein Stück hinter uns, ungesehen von den Thursen.
Beruhigt lege ich einen Zahn zu, um diese Hölle endlich hinter mir zu lassen. Wir müssen hier raus und dann muss ich auf irgendeine Weise meinen Stamm warnen. Irgendwie.
Doch das ist ein Problem für später. Erst einmal müssen wir hier unbeschadet raus kommen.
Inzwischen ist das Wikingerdorf hell erleuchtet und die Bewohner offenbar hellwach.
Nicht lange und sie werden uns entdecken fürchte ich.
Kapitel 29 – Unter Beschuss
Fast schon sind Rhao und ich über das Dorf am Hafen hinweg, doch Wolkensturm hängt noch mit Abstand hinterher.
Ich drehe den Kopf und verlangsame meinen Flügelschlag, aber ich wage nicht, ihm zuzurufen, er solle sich beeilen. Allerdings höre ich eine strafende Stimme über mir: „Nicht langsamer; schneller! Er wird uns schon noch einholen! Wir müssen hier erst einmal weg!"
Rhaokinchim legt noch ein wenig an Geschwindig¬keit zu und ich folge rasch seinem Beispiel, bevor ich den kleinen Drachen in der Dunkelheit aus den Augen verlieren würde.
Plötzlich, gerade fliegen wir auf den Hafen hinaus, erhebt sich ein Licht von einem der Schiffe vor uns und mit einem Mal wird der Himmel von einer ganzen Flut an feurigen Geschossen hell erleuchtet.
Ich sehe mich schnell nach Rhao um, doch anscheinend wurde keiner von uns getroffen. Dies war allerdings auch nicht das Ziel der Thursen, wie mir bald klar wird, als die nächste Welle an Pfeilen ziellos und willkürlich in den Himmel geschossen wird. Einer dieser Feuerbälle fliegt wenige Meter an uns vorbei.
Für mich wie in Zeitlupe streift der Licht¬schein über unsere Schuppen hinweg und macht uns sicher weithin sichtbar. Wir müssen aus der Reichweite der Pfeile raus, schießt mir durch den Kopf.
Nicht mal einen Bruchteil einer Sekunde später nehme ich bereits das unheilverkündende Surren der schnellen Geschosse wahr. Sie haben nur darauf gewartet. Für alle Wikinger auf den Schiffen, die den Himmel abgesucht haben, geben wir nun ein fantastisches Ziel ab.
"Hoch!", schreie ich und versuche mich schnell mit kräftigen Flügelschlägen nach oben zu katapultieren.
Gleichzeitig suche ich nach der Hitze in mir, die sich nach meinem Ausbruch unmerklich zurückgezogen hatte. Doch ich konnte deutlich spüren, wie sie nur unmittelbar unter der Ober¬fläche schlummert. Ganz so als würde diese Flamme nur darauf warten erneut zu zuschlagen. Als ich nun die Hitze rufe, bricht sie wieder hervor und strömt durch meinen Körper; bereit, mir zur Verfügung zu stehen.
Ich lasse der Hitze und dem Ärger freien Lauf und gab ein heiseres Zischen von mir, als ich mein Maul ein Stück weit öffnete.
Ich wartete bis sich genug Hitze in meinen Rachen gesammelt hatte, nur um sie einen Moment später wie eine Explosion entweichen zu lassen.
Gleißende Helligkeit durchbrach die Nacht, genau wie es die brennende Pfeile der Wikinger getan hatten, und doch zerriss mein einzelner Feuerball die Dunkelheit über dem Hafen und dem pech¬schwarzen Wasser mehr als es tausend Pfeile vermocht hätten.
In der Sekunde, bevor der Plasmaschuss sein Ziel trifft, scheint jeder im Umkreis von mehreren hundert Metern den Atem anzuhalten. Alles scheint ins Stocken geraten zu sein.
Unter dem Einschlag bersten die Planken des Schiffes, welches ich getroffen hatte und Splitter fliegen umher. Fluchend springen Wikinger zu Seite und Chaos bricht auf dem Schiff aus.
Im selben Moment nehme ich noch etwas anderes wahr.
Die meisten Pfeile mussten weit unter mir hindurch geflogen sein und nur wenige konnten mir so nahe gekommen sein, dass sie eine Bedrohung dargestellt hätten.
Den wenigen allerdings, die doch gefährlich nahe geklungen hatten, konnte ich wahrscheinlich nur entgehen, weil ich mit meinen großen Flügeln gleich einige Meter auf einem Mal emporgestiegen bin.
Jemand mit kleineren Fliegen, wäre nicht so schnell außer Reichweite der Pfeile gelangt.
Mein Feuerschuss hatte für einen kurzen Moment die Umgebung in einen lilafarbenen Schein gehüllt. Und in diesem kurzen Moment ist mir etwas auf¬gefallen, dass ich vorher übersehen hatte. Gleichzeitig ließ es meinen Atem stocken.
Zuerst war es nur ein unförmiger Schatten, der schnell kleiner wurde.
Ich brauche eine Sekunde, um die Eindrücke wie Puzzleteile zusammen zu setzen.
Die Pfeile, die doch sehr hoch gekommen sind, und denen ich nur dank großer Flügel hatte ausweichen können. Das Fehlen des Geräusches eines kleinen Flügelschlags über mir…
Meine Feuerkugel war kaum auf dem Schiff eingeschlagen und ihr Licht noch nicht einmal komplett verloschen, da stürze ich mich schon in die Tiefe, während der Schatten weiter wie ein Stein zu Boden fällt.
Nein, nein, nein! Ich wollte es heraus schreien, doch aus meinem Maul drang nur ein schriller Laut, welcher weit über das Wasser hallte.
Hatte ich mich eben noch nur ungefähr in die Richtung stürzen können, wo ich ihn fallen gesehen hatte, weiß ich plötzlich genau, wo er ist. Ich weiß plötzlich genau, wo alles um mich herum sich befindet.
Ich hab allerdings keine Zeit mir Gedanken darüber zu machen, woher ich das auf einmal weiß, oder warum ich seither meine Umgebung klar vor Augen habe. Und das, obwohl auf allen Schiffen inzwischen die Fackeln gelöscht wurden, aus Angst sich zum Ziel eines weiteren Angriffs zu machen.
Alles Licht schien verschluckt und undurchdring¬bare Schwärze hing über den Hafen vor der Insel. Vor meinem inneren Auge allerdings, konnte ich den kleinen Drachen unmittelbar unter mir ausmachen.
Mich völlig auf dieses Gefühl verlassend; man könnte es beinahe als Eingebung beschreiben, strecke ich meine Klauen aus.
Und tatsächlich! Ich spüre den schlaffen Körper des Schrecklichen Schreckens und noch in der selben Sekunde breite ich meine Flügel aus. Ein heftiger Rock durchfährt mich, als der Wind sich in der vollen Größe meiner Schwingen fängt und uns schlagartig auffängt und abbremst.
Heftig atmend presse ich den kleinen Drachen in meinen Armen, naja Vorderbeinen, an meinen Körper und versuche an Höhe zu gewinnen. Nachdem ich mir einen Moment zum Durchatmen genehmige, werfe ich einen Blick zurück.
Die klare Vorstellung meiner Umgebung war verblasst, nur an den dunkel vor dem Nachthimmel aufragenden Schemen kann ich die Schiffe ausmachen.
Durch diese rasante Rettungsaktion waren wir wie ein Pfeil zwischen den Wikingerschiffen hindurch geschossen und haben einige Entfernung zurückgelegt, ohne in der Dunkelheit überhaupt bemerkt worden zu sein.
Immer noch dicht über den Wellen hinweg gleitend, halte ich Ausschau nach Wolkensturm. Hatte er mitbekommen was geschehen ist? Meine Bemühungen bleiben ohne Erfolg; ich kann von dem Sturmbrecher keine Spur ausmachen.
Vielleicht ist es auch gut so, überlege ich, dann werden auch die Thursen ihn nicht
entdecken. Ich kann nur hoffen, dass er uns mit seinen eulenartigen Augen auch in dieser Finsternis im Blick behalten hat.
Nun richte ich meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Ich muss dringend einen sicheren Landeplatz finden, um nach Rhao zu sehen. Eine kleine Insel, ach, ein einfacher Stein wäre mir momentan schon recht.
Ich lege noch etwas an Tempo zu als ich sehe, dass meine Hoffnung erfüllt wird.
Ein nicht sehr größer, klippenartiger Felsen türmt sich in einiger Entfernung aus den Wellen auf, die heftig gegen das steil aufragende Gestein schlagen. Vorsichtig, um Rhao so sanft abzusetzen wie es mir möglich ist, setze ich zur Landung an.
Besorgt schaue ich auf den bewegungslosen Drachenkörper hinab. Er liegt wie tot vor mir und fast fürchte ich mich, ihn näher zu betrachten, was meine Befürchtungen bestätigen könnte.
Grausam ragte der Schaft eines Pfeils aus der Seite des Drachens hervor.
Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen, als der kleine Schrecken stöhnend ein Lebenszeichen von sich gibt.
Unter großer Kraftanstrengung versucht Rhao sich aufzurichten.
Behutsam halte ich ihn auf und drücke ihn sanft wieder zu Boden. „Nicht bewegen. Keine Sorge, du bist in Sicherheit" , beruhige ich ihn leise.
Meinen Rat folgend sinkt Rhao zurück, sein Atem geht weiterhin nur flach und rasselnd.
Hilfesuchend bliche ich auf das Meer hinaus. Wann kommt Wolkensturm?
Völlig überfordert richte ich meinen Blick wieder auf den verwundeten Drachen. Was kann ich bloß tun? Er wird verbluten, wenn ich nichts unternehme!
„Beschreib mir was du siehst." murmelt Rhao schwach.
„Was?" frage ich überrascht nach, ob ich ihn richtig verstanden habe.
Ein bisschen gereizt, fährt Rhao mich an: „Was siehst du?!“
„Ähm..." kurz zögere ich, „Ein Pfeil steckt in deiner Schulter, knapp unterhalb deines Flügelgelenks." , antworte ich wahrheits¬gemäß. Keine Zeit, um es beschönigend auszudrücken.
"OK..." Rhao gibt ein schrecklich klingendes Hüsteln von sich, bei dem sein kleiner Körper durchgeschüttelt wird.
„Okay, du musst den Pfeil entfernen. Schnell, aber vorsichtig, alles klar?"
Ich starre ihn entgeistert an. „Nein, absolut nicht." , rufe ich verzweifelt aus, „Ich kann ihn doch nicht einfach rausziehen, du wüstest verbluten, oder nicht?"
"Du musst die Wunde nur schließen. Nachtschattenspeichel wirkt überaus blutgerinnend und beschleunigt die Heilung." , gibt Rhao mir Anweisungen. "Und jetzt los!"
Kapitel 30 – Getrennte Wege
Völlig entkräftet lasse ich mich neben den grüngeschuppten Schrecken plumpsen. Nachdem Rhao die Besinnung verloren hatte, habe ich gebangt, dass ich die Wunde schließen könnte und schließlich - endlich! - gerann sein Blut und fürs erste kann ich verschnaufen. Ich hab in den letzten Tagen und Nächten nicht nur einen kräfteverzerrenden Kampf mit geübten Kriegern und eine gefährliche Flucht hinter mir, aber das alles kommt nicht an die letzten schweißfordernden Minuten heran.
Während ich wie besessen mit meiner Zunge über die klaffende Wunde an der Seite des kleinen Drachen gefahren bin, habe ich inständig gehofft, dass er mit der heilenden Wirkung Recht behalten möge und Odin im goldenen Walhall noch eine Weile auf den alten Drachen verzichten würde. Keine Walküren erschienen, um den im Kampf Gefallenen abzuholen und ich horche aufmerksam auf das noch schwache, aber gleichmäßig schlagende Herz neben mir.
Vielleicht ist an dieser mysteriösen Kraft der Nachtschatten, von der Rhao erzählt hatte, doch etwas dran.
Ob es daran lag, dass der kleine Schreckliche Schrecken noch atmete, es der Segen der Götter war oder einfach nur unverschämtes Glück, ist mir jedoch völlig egal. Er lebt noch, das ist alles was zählt.
Plötzlich mischt sich ein seltsames Flattern unter das dumpfe Pochen und ich springe besorgt auf, bis mir klar wird, dass dies nicht von den kleinen Herzen stammt.
Ich lasse mich zurück sinken und den Blick über das Meer schweifen. Und tatsächlich schießt über den Wellen ein geflügelter Schatten entlang. Wolkensturm!
Er hat offenbar gesehen in welche Richtung ich mit Rhao geflohen bin, uns jedoch noch nicht auf dem Felsen entdeckt.
Um auf mich aufmerksam zu machen, hebe ich die Flügel und stoße einen kurzen Schrei aus.
Sofort zuckt sein Blick zu mir und schon aus der Entfernung bemerke ich die Besorgnis darin glitzern.
Nun weniger suchend, sondern zielstrebig an Geschwindigkeit zulegend kommt Wolkensturm näher.
Einen Steinwurf von mir entfernt stopp er seinen Flug abrupt, indem er alle seine Flügel zur vollen Größe entfaltet. Beeindruckend bremsen die zwei Flügelpaar seine Geschwin¬digkeit in wenigen Augenblicken und ohne Zeit zu verlieren landet er direkt neben seinem alten Freund.
„Was ist passiert?“, will er von mir wissen, als Rhao sich nicht regt.
Eilig gebe ich ihm eine Zusammenfassung, was über dem Hafen geschehen ist, doch beruhigen kann ich ihn nicht.
Ich habe selbst keine Ahnung, ob es genug war, was ich getan habe. Hätte ich mehr für ihn tun können?
„Nein.“ Wolkensturm schüttelt entschieden den Kopf, als ich die Frage laut ausspreche. „Ich bin sicher, du hast alles getan, was in deiner Macht stand.“ Traurig schaut er hinunter auf den kleinen Drachen, dessen Schuppen im fahlen Licht des nur halb vollen Mondes grau und blass wirken.
„Jetzt können wir nur warten bis er auf¬wacht.“ Mit diesen Worten rollt er sich um Rhaokinchim zusammen und legt schützend seinen langen Schwanz um sie beide.
„Wie habt ihr mich eigentlich gefunden? Ich hatte befürchtet, du wärst... tot.“ , frage ich halb, um mich abzulenken, halb, weil mir die Erinnerung an seinen Absturz noch lebhaft vor Augen erscheint.
Auch Wolkensturm scheint gegen eine kurze Ablenkung nichts einzuwenden zu haben, solange er ansonsten nur tatenlos herum liegen konnte.
Er schüttelt seinen breiten, hornbesetztes Kopf: „Nein, ich war kaum verletzt. Lediglich einer dieser winzigen Pfeile halte mich getroffen. Doch kein Flügelschlag später hat mich dieser wie ein Stein vom Himmel geholt. So etwas hab ich noch nie erlebt. Es war...“ „…als würde man sich in der Luft verheddern.“ , beende ich seinen Satz, als er nach Worten suchend inne hält. Noch zu gut erinnere ich mich an das Gefühl.
„Ja. Schwimmen ging und Rhaos Insel war nicht zu weit entfernt.“ , setzt Wolkensturm seine Erzählung fort.
Ich nicke während seiner Erzählung und versuche mir meine Abwesenheit in Gedanken nicht anmerken zu lassen. Neben Rhaos Überleben spukt mir noch ein anderes Thema im Kopf herum und ich kann meine Gedanken nicht davon abhalten sich im Kreis zu drehen bis mir beinahe schwindlig wird. Eine Erkenntnis steht über allen, mitten in dem Chaos in meinem Kopf: Mein Stamm ist verloren, wenn die Thursen sie unerwartet treffen.
Ich kann Wolkensturm kaum folgen als er weiter berichtet: „Rhao ist den zwei Schiffen gefolgt, er allein war unauf¬fälliger, und hat mich später zu dieser Insel geführt.“
Wie ein bedrohlicher Schalter schwebt der Gedanke an die Bedrohung meines Stammes über mir.
Das kann ich nicht zulassen. Ich muss sie warnen oder es zumindest versuchen.
„Wenn Rhao wieder aufgewacht ist und es ihm gut genug geht, bringen wir ihn zu seiner Insel zurück und...“
„Nein.“ unterbreche ich ihn leise, noch zu sehr in Gedanken, um wirklich auf ihn zu achten. „Was?“ , fragt Wolkensturm erstaunt.
„Nein,“ , wiederhole ich nun etwas lauter, „nicht wir.“
So sehr es mir auch leid tut, sie beide ausgerechnet jetzt zu verlassen, begegne ich Wolkensturms erstauntem Blick mit Entschlossen¬heit. Meine Entscheidung steht fest.
„Ich bin euch beiden unglaublich dankbar, dass ihr mich da raus geholt habt, ehrlich. Aber ich kann euch nicht begleiten.“
„Warum?“ , Wolkensturm spricht es nicht aus, allerdings kann ich ihm ansehen wie er sich fühlt: verraten.
Es versetzt mir einen Stich ins Herz, etwas, das ich gegenüber einem Drachen für undenkbar ge¬halten habe. Flehend sehe ich ihm in die Augen. „Du musst mir einfach vertrauen, dass es wichtig ist. Es geht um Leben und Tod.“ „Warum?“ , fragt der Sturmbrecher erneut, diesmal mit Nachdruck.
Ich wiege meinen Kopf hin und her, dann seufze ich.
„Ich muss zurück zu der Insel, bei der wir uns getroffen haben.
Bei den Wikingern, die mich gefangen gehalten haben, den Thursen, habe ich etwas erfahren: Sie wollen einen anderen Stamm angreifen, der auf einer
der Inseln lebt, in deren Nähe wir uns getroffen haben. Ich muss dahin, um sie zu warnen, sonst würden die Thursen sie einfach überrollen.“
Ich erwarte gar nicht erst, dass der große Drache versteht, weshalb ich das tue.
„Dann lass sie sich doch gegenseitig abschlachten. Das ist nicht dein Problem. Viel eher gerätst du dazwischen und wirst verletzt. Warum also dieses Risiko eingehen?“ , will Wolkensturm wissen.
„Das kann ich nicht. Ich kann es dir jetzt nicht erklären, aber ich werde alles versuchen, um den Tod dieser Wikinger abzuwenden.“
„Sie hat Recht. Sie muss das tun.“ , höre ich nun eine Stimme unter den zwei Schichten Sturmbrecher-Flügeln hervor kommen.
Sie klingt noch dünn und schwach, aber klar zu verstehen. Rhao!
Hastig hebt Wolkensturm seine Flügel und gibt den Blick auf den grünen Drachen frei.
„Du bist aufgewacht!“ , ruft Wolkensturm freudig aus. Für den Moment ist unser Streit vergessen.
Rhao nicht bedächtig und wendet den Kopf, um sich seine Wunde anzuschauen. „Ja, dank Svenja, schätze ich.“ Er blickt mir in die Augen und ich antworte auf sein stummes ‚Danke’ mit einem Nicken.
„Ihr beide habt mir geholfen da raus zu kommen. Es war das Mindeste was ich tun konnte.“ , winke ich ab.
Nun ruht wieder Wolkensturms unergründlicher Blick auf mir, in dem aber deutlich seine
Verwirrung und sein Missfallen mitschwingen. „Dann komm mit uns mit, anstatt dich bei irgendwelchen Wikingerangelegenheiten einzu¬mischen, bei denen du nur verletzt wirst.“ Mein Herz zieht sich bei seinen Worten zusammen. Er versteht nicht, warum ich das tun muss. Er kann es nicht verstehen. Wie könnte ich das auch von ihm erwarten?
Zu unser beider Überraschung, ergreift Rhao für mich Partei: „Dies ist auch ihre Angelegenheit und sie muss diesen Wikingern beistehen. Lass sie ziehen, Wolkensturm.“
„Warum? Was kümmert euch beide ein Streit zwischen Wikingerstämmen?“ Voller Unverständnis schüttelt der Sturmbrecher den Kopf. „Ich werde es dir erklären, versprochen.“ Ich seufze, aber so langsam spüre ich mit jeder Minute die vergeht, wie die Zeit verrinnt, die mir noch bleibt, um meinen Stamm zu warnen. Wie auch immer ich das schaffen will.
Als könnte er meine Gedanken lesen, schwingt in Rhaos Stimme nun absolute Überzeugung mit: „ Ich glaube an dich, und dass du es schaffen wirst, Schlimmeres zu verhindern. Und wenn wir Glück haben, erreichst du noch viel mehr, als alle für möglich halten. Ich träume schon lange von einem erneuten Frieden zwischen Drachen und Wikingern. Meine Hoffnung schwand die Jahre und Jahrzehnte über. Doch als ich dich sah, wusste ich, dass du es möglich machen könntest. Du kannst eine Zeit des Friedens einläuten.“
Die Inbrunst in seinen Worten macht es schwer, nicht daran zu glauben und so nicke ich überzeugt.
Ich werde meinen Stamm vor der drohenden Gefahr warnen und dann vielleicht auch überzeugen, dass die Drachen nicht unsere Feinde sein müssen.
Kapitel 31- Wiedersehen
Mit einem Schlag reiße ich meine Augen auf. Was ist passiert? Hektisch wandert mein Blick über meine Umgebung.
Keine Wände, weder aus Fels, noch aus Holz oder sonst was. Dafür Wald um mich herum und der freie Himmel über mir.
Nur langsam kann ich meine Erinnerungen an den vergangenen Tag zusammensetzen. Ich fühl mich wie erschlagen. So erschöpft...
Ich habe es irgendwie geschafft die Strecke bis Fallow in Rekordzeit zurück zu legen. Keine Ahnung wie ich das gemacht habe.
Wolkensturm sah sehr unzufrieden aus, als wir uns getrennt haben. Er hat aber nicht weiter versucht mich auf zu halten und ist mit Rhao in die entgegengesetzte Richtung geflogen. Es tat mir leid ihn zu enttäuschen, aber ich musste mich beeilen.
Ich habe heraus gefunden, dass Nachtschatten ziemlich schnelle Flieger sind, was mir zugute kam.
Während der nur kurzen Stopps, die ich eingelegt habe - viel zu kurz und selten um wirklich erholsam zu sein - war ich ruhelos, obwohl der lange, monotone Flug an meinen Kräften zerrte und meine Wunde beständig pochte, als wollte sie mich daran erinnern wie die Sekunden verrinnen.
Irgendwie hab ich es geschafft das alles auszublenden. Meine Gedanken schwirrten sowieso nur um eine schreckliche Gewissheit: Wenn ich nicht rechtzeitig ankomme, haben sie keine Chance mehr!
Die Furcht und die Sorge um meine Familie trieben mich an und immer weiter. Einfach weiter. Als ich Fallow von Weitem am Horizont auftauchen sah, bin ich vor Erleichterung aus den Rhythmus gekommen. Der Anblick meiner Insel hat mich beinahe überwältigt.
Mein ganzes Leben habe ich auf dieser Insel verbracht, bin durch den Wald getobt, auf die Felsen geklettert, bin in den Seen geschwommen. Doch noch nie wirkte Fallow so wunderschön, wie in diesem Moment aus der Luft nach einer Zeit, die mir vorkam wie eine Ewigkeit.
Ein warmes Gefühl breitet sich in meinen Bauch aus. Ich bin zu Hause. Wie hatte ich nur denken können, meine Heimat für immer zu verlassen?
Ich erinnere mich wie ich nicht auf meinen bleiernen Flügelschlag oder meine zitternden Flügel achtete, ich erhöhte meine Geschwindigkeit. Ich war zu Hause! In jeder Faser meines Körpers konnte ich es spüren. Zu Hause. Mit Mühe, aber einem Gefühl von überschwänglicher Freude schleppte ich mich über die Adlerfelsen. Erst am Waldrand genehmigte ich mir runter zu gehen.
Ich stolperte mehr als das ich landete, überglücklich daheim zu sein.
Nicht in der Lage einen weiteren Schritt zu machen, brach ich zusammen und dann wurde schlagartig alles schwarz.
Ich merke, dass ich es gut gebrauchen könnte mich einfach wieder in dem gemütlichen Gras zu meinen Füßen zusammen zu rollen, um gut und gerne eine Woche durch zu schlafen.
Aber das mache ich nicht. Ich kann nicht. Genüsslich atme ich tief ein und genieße den Geruch. Zuhause. Aber ich kann es nicht wirklich auskosten, ich hab noch was zu tun!
Ein lautes Knacken lässt mich zusammen zucken. Ich bin zwar endlich wieder zu Hause, doch damit ist noch lange nicht alles vorbei.
Die Thursen sind weiterhin damit beschäftig die letzten Vorbereitungen zu treffen, um meine Heimat anzugreifen. Vielleicht sind sie inzwischen sogar schon fertig und bereits auf den Weg hier her.
Schnell überschlage ich die Tage. Im absolut schlimmsten Fall könnten sie in zwei Tagen schon hier sein.
Außerdem bin ich nach wie vor ein Drache - ich sollte mich von meinen Stamm fernhalten. Vorsorglich ducke ich mich hinter einen großen Busch und luge durch das Gestrüpp. Niemand ist zu sehen. Vielleicht war es nur ein Tier.
Es raschelt erneut, diesmal näher. Doch kein Tier. Ein Geruch steigt mir in die Nase. Er ist so vertraut, dass sich mir ein Kloß im Hals bildet. Ich habe ihn nie so stark wahrge¬nommen, wie jetzt als Drache, aber mir wird klar, wie sehr ich diesen Geruch ver¬misst habe. Vielmehr die Person, zu der dieser Geruch gehört.
Ich stehe wie angewurzelt da, außerstande mich von der Stelle zu rühren.
Nur wenige Meter neben mir teilt sich das Unterholz und eine Wikingerin tritt hervor.
Beim Anblick meiner besten Freundin habe ich das Gefühl mir träten Tränen in die Augen. Können Drachen überhaupt weinen?
Ihr eben noch so entspanntes Lächeln entgleist und verwandelt sich in Erschrecken. Wie versteinert bleibt Eona mitten in der Bewegung direkt neben mir stehen.
Langsam, wie um keine Aufmerksamkeit zu erregen, greift ihre Hand zu ihrer Waffe hinter ihrem Rücken. Blitzschnell und nur wenige Sekunden später hat Eona das Schwert gezogen und auf mich gerichtet.
Ich versuche so ruhig wie möglich zu bleiben, und gleichzeitig so wenig bedrohlich aus zu sehen wie ich kann.
Wenn ich etwas auf alle Fälle vermeiden will, dann ist es mit meiner besten Freundin zu kämpfen.
Mein Blick fällt auf das Schwert in ihrer Hand - mein Schwert. Sie hat es behalten.
Eonas Griff darum verkrampft sich, als sich unsere Blicke begegnen.
Ich hoffe, dass sie in meinem Blick den gleichen Schmerz erkennt, den ich in ihren Augen sehe. Schmerz, Wut, Trauer und ein bisschen Angst, aber auch Entschlossenheit. Mir wird klar, dass sie wohl denken muss, ich hätte ihre Freundin auf dem Gewissen. Noch immer stehen wir uns regungslos gegen¬über, Wikinger und Drache, und schauen uns stumm in die Augen.
Ich kann ihr vielleicht nicht sagen, was mir auf der Zunge liegt: Wie sehr ich mich freue sie zu sehen. Wie sehr es mir Leid tut und wie sehr es schmerzt so nah bei meiner Familie zu sein und doch Welten entfernt.
Das alles kann ich ihr nicht sagen, deshalb versuche ich so viel davon in meinen Blick zu legen, wie es mir möglich ist.
Langsam drehe ich mich ihr vollständig zu und hebe den Kopf auf gleiche Höhe mit ihrem, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.
In der ersten Sekunde verstärkt Eona den Griff um das Schwert, sodass ihre Knöchel weiß hervortreten, doch als sie merkt, dass kein Angriff folgt, sackt das Schwert langsam ab.
Obwohl die Schwertspitze nun gen Boden gerichtet ist, habe ich keine Zweifel, dass meine Freundin jederzeit die Möglichkeit hätte, zu zuschlagen. Doch nun mischt sich in ihren Blick noch etwas anderes: Verwunderung.
Sie löst ihren Blick von meinem und betrachtet den Nachtschatten, in dessen Körper ich stecke. „Wieso habe ich das Gefühl dich zu kennen?“, ihre verwirrte Frage ist nur ein Flüstern.
„Deine Augen...“
Begeistert nicke ich. Ja!
Das Krachen eines brechenden Astes zerreißt die Stille des Waldes, welche uns bis dahin umgab. Schnell scanne ich die Umgebung. Etwas weiter entfernt im Wald erkenne ich schemenhaft weitere Wikinger.
Trauer erfüllt mich erneut, als ich die Schemen als meine Freunde identifiziere. Am liebsten würde ich zu ihnen rennen, sie umarmen und ihnen sagen, wie sehr ich sie vermisst habe.
Aber das kann ich nicht und mir ist bewusst, dass ich mein Glück nicht überstrapazieren sollte.
Schweren Herzens werfe ich Eona noch einen traurigen Blick zu, und verschwinde dann in den Büschen.
Kapitel 32 – Fragen, Antworten und Geheimnisse
Hastig schnappe ich mir den Fisch vor meiner Nase und verschlinge ihn, sowie drei weitere ohne zu kauen. Nach und nach verschwindet mein eilig gefangenes Mittagessen in meinen Magen.
Eigentlich hatte ich gleich daran arbeiteten wollen, eine Lösung für mein Problem zu finden, doch mein laut protestierender Magen hat mich schnell umgestimmt.
Also hatte ich entschieden, dass es sich mit vollem Bauch besser Pläne schmieden lässt. Und bei Odin, ein Plan ist jetzt genau das, was ich brauche... Wie soll ich nur irgendwem klar machen, in welcher Gefahr sie sich befinden?
Eona hat mich immerhin nicht sofort umbringen wollen, allerdings kann ich diese Zurückhaltung wohl kaum von den anderen Wikingern meines Stammes erwarten.
Also ist Eona meine einzige Möglichkeit.
Bleibt nur noch die Sprachbarriere, die es zu überwinden gilt.
Ich seufze und schlucke den letzten Fisch hinunter.
Ich hoffe, ich habe meine Freundin neugierig genug gemacht, sodass sie noch einmal alleine in den Wald kommt.
Und dann kann ich... was ich machen könnte, wird mir hoffentlich noch einfallen.
Ich mache mich auf zu den Bergen, die über meinem Dorf aufragen, zu fuß durch den Wald. Es wäre sicher deutlich schneller gegangen zu fliegen, aber ich will meinen Muskeln noch eine Pause genehmigen.
Als ich jedoch mühsam über die ersten Felsen ge¬klettert bin, wird mir klar, dass Nachtschatten wohl nicht wirklich zum Klettern gemacht sind. Die letzte Distanz lege ich also in der Luft zurück.
Die Mittagssonne bricht durch die Wolkendecke und wirft wärmende Strahlen auf den Felsvorsprung, auf dem ich mich nun niederlasse.
Er ist hoch über dem Dorf gelegen und bietet einen tollen Ausblick darauf, ich brauche mir aber keine Sorgen machen, dass ich entdeckt werden könnte. Vom Boden aus kann man das Plateau nicht einsehen.
Da es jetzt erst mal heißt zu warten, strecke ich meine müden Flügel in der Sonne aus.
Während ich meinem Körper Ruhe gönne, zermartere ich mir den Kopf, wie ich Eona die Gefahr begreifbar machen kann.
Ich schaffe es irgendwie nicht wirklich, mich zu konzentrieren. Sorgenvoll mustere ich erst mein Dorf, dann lasse ich meinen Blick über den Horizont schweifen. Endloses Meer, keine Schiffe.
Seufzend lege ich den Kopf auf die Pfoten und beobachte mein Dorf. Ich fühle mich merkwürdig unbeteiligt und von allen abgeschnitten, als ich den normalen Alltag im Dorf verfolge. Ich sollte da unten sein. Mithelfen bei irgendwelchen langweiligen Arbeiten, über die ich mich dann beschwert hätte.
Mein Vater hätte mir mal wieder mit großen Worten erklärt, wie wichtig es für einen angehenden Häuptling ist, für seinen Stamm da zu sein, in ein und demselben Vortrag, den ich immer in solchen Momenten zu hören bekam.
Oder ich hätte Tyr dabei zugesehen, wie er mal wieder eine seiner komischen Ideen in der Schmiede ausprobiert. Bei den ersten Versionen passiert immer etwas völlig Unvorhergesehenes, sodass ich sogar ein ums andere Mal in Deckung gehen musste. In der Regel wurde das Problem schnell erkannt und behoben, doch manchmal tüftelte Tyr tagelang in der Werkstatt. Dann würde man ihn nicht eher wieder draußen antreffen, bis er das Problem beseitigt hätte.
Ich starre in Gedanken versunken auf mein Zuhause, während die Wolkenschatten über die Dächer und Wege des Dorfes hinweg jagen. Verträumt lausche ich den mir nur allzu vertrauten Geräuschen:
Den knarzenden Räder der Holzkarren auf dem Dorfplatz, das Schlagen von Tauen der Boote an den Steg, das Blöcken der Schafe, der Schrei eines Adlers, das beständige und allgegenwärtige Rauschen der Wellen.
Fast hätte ich Eona nicht bemerkt, die über den Dorfplatz gelaufen kam und den Weg in Richtung Wald einschlägt. Allein. Sofort springe ich auf. Immer noch ohne Plan, aber mit wohliger Vorfreude, werfe ich mich in den Wind.
Ungeduldig erwarte ich meine beste Freundin, an der gleichen Stelle, wie zuvor. Hier wird sie zuerst nach mir suchen.
Einer Eingebung folgend klopfe ich einen freien Teil des Waldbodens mit meinen Schwanz platt. Es ist nicht ideal, aber aufgrund fehlender, besseren Ideen, bleibt mir kaum etwas anderes übrig, um mich verständlich zu machen. Ich betrachte die Fläche, die ich somit geschaffen habe. Besonders groß ist sie nicht, doch für ein paar Worte wird sie reichen.
In diesem Moment nehme ich das Rascheln wahr.
Langsam, um sie nicht zu erschrecken, drehe ich mich um.
Noch ist bei weitem nicht alles Misstrauen und Schmerz aus Eonas Blick verschwunden, doch ich meine, Neugierde und Unglaube in ihren Augen aufblitzen zu sehen.
Als wollte sie mich daran erinnern, dass es da ist, wechselt sie ihr Schwert in die andere Hand. Sie wirkt nervös.
Eine Weile betrachtet sie mich nur, ohne ein Wort zu sagen, doch ich sehe es ihr an, dass ihr einige Fragen auf der Zunge brennen. Würde es mir nicht genauso gehen?
Ihr scheint wieder der Teil einzufallen, wo wir unterbrochen wurden. Zögernd fragt sie: „Wir kennen uns also?“
Ich bin sicher, das ist nicht die Frage, die ihr als erstes in den Sinn gekommen war. Allerdings ist sie vermutlich einfacher zu stellen, als die Frage, die ich selbst fürchte. Bedächtig nicke ich.
Deutliche Verwirrung zeichnet sich in ihren Zügen ab. „Wie kann das sein? Ich bin mir ziemlich sicher, noch nie einen Nachtschatten gesehen zu haben.“
Wieder nicht ihre eigentliche Frage. Aber wie soll man auch fragen, ob der Drache, mit dem man gerade plaudert, seine Freundin gefressen hat? Wobei besagter Drache einen nach allen Lehren der Wikinger eigentlich selbst angreifen sollte, anstatt sich mit Fragen löchern zu lassen.
Und wie, bei den Göttern, soll man erklären, dass man nicht gefressen wurde, sondern –vermutlich - von einem verdammten Stein verwandelt wurde? Ich weiß weder darauf, noch auf die Frage, die sie tatsächlich gestellt hat, eine Antwort.
Eigentlich ist das gerade auch gar nicht wichtig, rufe ich mir ins Gedächtnis.
Ich muss ihr klar machen, dass sie und der gesamte Stamm in großer Gefahr schweben!
Offensichtlich fällt Eona jetzt erst etwas auf: „Warte, du verstehst was ich sage?“ Erneut nicke ich, eine sehr einseitige Unterhaltung. Diese Frage ist auf jeden Fall leichter zu beantworten.
„Okay...“ Eona atmet tief durch. „Du warst an dem Tag hier, als meine Freundin verschwunden ist, oder?“ Es war dieses Mal weniger eine Frage als vielmehr eine Feststellung. Ich fürchte, ich ahne was nun kommt.
„Weißt du, was mit ihr passiert ist?“ Eona scheint darauf bedacht nur Ja-oder-Nein-Fragen zu stellen.
Nervös senke ich den Blick. Was soll ich bloß antworten? Sie wird weiter fragen, wenn ich nicke und die nächsten Fragen werde ich kaum beantworten können.
Außerdem läuft uns die Zeit weg.
Ich seufze. Dann schüttele ich den Kopf.
Enttäuschung spiegelt sich in den Blick meiner Freundin wieder. Ich kann nur vermuten ,ob sie meine Lüge durchschaut hat.
Sie macht Anstalten zu gehen, doch ich springe ihr in den Weg. Sofort richtet sich die Schwertspitze auf mich, keinen Schritt von meiner Nase entfernt.
„Was willst du?“ , feindselig funkelt sie mich an.
Gute Frage. Das hier wäre deutlich einfacher, wenn ich ein Mensch wäre. Warum also bin ich nicht schon längst auf der Suche nach diesen merkwürdigen Stein, in der Hoffnung, dass dieser mich zurück verwandelt?
Ich schiebe diese Frage beiseite, es gibt dringendere Probleme. Das jedenfalls rede ich mir ein. Tief im Inneren weiß ich, dass ich Angst vor der Antwort auf diese Frage habe. Angst was es für mich bedeutet.
Behutsam gehe ich um Eona herum, zu dem plattgeklopften Erdboden. Ich spüre deutlich ihren Blick auf mir, der jede meiner Bewegungen verfolgt.
Vorsichtig fahre ich mit einer Kralle durch den weichen Waldboden.
Es ist lediglich Platz für zwei Worte, doch die werden hoffentlich genügen.
Eona ist neben mich getreten und hat sehr irritiert zugesehen, wie ich die Runen aufschrieb.
Die Farbe weicht aus ihrem Gesicht, als sie die Worte schließlich vorließt: „Angriff, Thursen.“