How To Be A Dragon Kap. 11 - 18

How To Be A Dragon Kap. 11 - 18

12.06.2017 17:36

Fortsetzung zu How To Be A Dragon


Kapitel 11 - Einsam

Trübselig starre ich in die grauen Wolken und knabbere lustlos an einem weiteren rohen Fisch. Als der Sturm am folgenden Morgen zwischenzeitlich etwas abgeflaut ist, bin ich fischen gegangen. Der Riesenhafte Albtraum hatte sich bis dahin schon verzogen und ich scheine auch sonst alleine auf der Insel zu sein. Somit habe ich viel Zeit zum Nachdenken. Wie kann es sein, dass ich mich in einen Nachtschatten verwandelt habe?
Die einzige Erklärung, die mir bis jetzt einfallen will, ist, dass dies der Zorn oder zumindest der Wille der Götter sein muss. Aber wenn ersteres der Fall ist, warum sind sie wütend? Und wieso ich? Es ist nie so gewesen, dass ich besonders abergläubisch war, aber mein Dorf hat die Götter schon immer verehrt. Es gibt keinen Grund, warum sie uns, oder mich, bestrafen sollten.
Vielleicht ist dies ein Scherz Lokis. Ich hoffe nicht, denn dann wüsste ich nicht, wie ich es rückgängig machen könnte. Verzweifelt brülle ich bei diesem Gedanken auf. Verdammt, in jedem Fall habe ich keine Ahnung, wie ich mich wieder zurück verwandeln kann. Ich hab einfach so viele Fragen und niemanden der sie mir beantworten könnte.
Meine Gedanken werden durch ein erneutes Aufblitzen des Himmels unterbrochen. Zornig, kommt es mir in den Sinn. Es wirkt … zornig.

Den ganzen Tag über hielt der Sturm an und wurde zum Abend hin sogar stärker.
Ich habe mich an einer der Höhlenwände zusammengerollt. Zwangsläufig muss ich an einige solcher Abenden denken, die ich gemeinsam mit meinen Freunden verbracht hatte. Bei solchen Gewittern hatten wir uns bei Whetu in seiner Hütte zusammen gefunden und ein paar seiner Geschichten gelauscht. Und der alte Mann hat viele zu erzählen. Beinahe jedes Mal kam er mit einer weiteren an, die wir noch nicht kannten. So wurde es schnell zu einer Art Tradition, wann immer Thor Blitze hinabschleuderte, uns in Whetus Hütte zu treffen.
In Gedanken bei diesen lustigen Abenden, fühle ich mich mit einem Mal furchtbar alleine. Ich stelle mir vor, wie wir jetzt gemeinsam in dieser Hütte sitzen würden. Obwohl meine Freunde eigentlich gar nicht so weit entfernt sind, bin ich doch binnen weniger Tage Welten von ihnen getrennt worden.
Plötzlich vernehmen meine nun so empfindlichen Ohren ein flatterndes Geräusch inmitten des Sturms. Durch den Regenschleier taucht ein Drache auf. Sofort sticht sein zweites Flügelpaar ins Auge. Trotz des heftigen Winds, der unablässig am Höhleneingang vorbei pfeift, landet dieser elegant auf dem kleinen Vorsprung und betritt die Höhle.
Eigentlich ist Gesellschaft genau das, was ich brauche. Die Einsamkeit ist erdrückend. Doch nicht von einem Drachen. Also knurre ich nur missmutig: „Verschwinde. Such dir deine eigene Höhle.“
Der Drache schaut erst mich, dann den heftigen Sturm draußen vor der Höhle an und hat wohl entschieden, dass ich das kleinere Übel sei, denn er schüttelt sich lediglich das Wasser von den Schuppen und macht es sich in der Nähe des Höhleneingangs bequem. Nachdem er mich eine Zeit lang merkwürdig angeschaut hat, sagt er mit einem freundlichen Lächeln: „Gegen dich ist dieses Wetter der reinste Sonnenschein.“ Grummelnd blicke ich in die Regenfäden, die der Wind am Eingang der Höhle vorbei treibt. Es fängt erneut an zu blitzen und ein lauter, durchdringender Donner ertönt.
Ich sage nichts weiter dazu. Offensichtlich sehne ich mich so sehr nach Gesellschaft, dass ich sogar die eines Drachens der Einsamkeit vorziehe.
„Ich bin übrigens Wolkensturm.” , versucht er ein Gespräch zu beginnen, doch ich erwidere nichts. Demonstrativ wende ich ihm im liegen den Rücken zu und lege meinen Schwanz um den restlichen Haufen Fisch, den ich mir aufbewahrt habe. Während es immer dunkler wird, bette ich meinen Kopf auf meine Pfoten und versuche einzuschlafen.
Überdeutlich höre ich das sanfte Atmen des anderen Drachen, welcher sich als Wolkensturm vorgestellt hat und schon eingeschlafen ist. Irgendwie ist es beruhigend und im Gegensatz zur ersten Nacht in der Höhle schlafe ich ruhig und tief.

Auch am nächsten Morgen hat der Sturm nicht nachgelassen.
Ich bin vor Wolkensturm aufgewacht und betrachte ihn nachdenklich. Vor einiger Zeit habe ich schon einmal von einer Drachenrasse mit zwei Flügelpaaren gehört. Sie wurden als Sturmbrecher bezeichnet.
Nun fängt auch er langsam an, sich zu regen und unterbricht so meine Gedanken. Eilig schaue ich nach draußen.
„Wer bei diesem halsbrecherischen Wind noch draußen rumfliegt, müsste von allen guten Geistern verlassen sein. Scheint so als würden wir fürs erste hier zusammen festsitzen.“ , bemerkt er. Ich werfe ihm einen Seitenblick zu. „Das hat mir gerade noch gefehlt.“ , murmle ich. Insgeheim bin ich allerdings froh über diese anhaltende Gesellschaft.
Mit deutlich mehr Appetit als am Vortag widme ich mich kurz darauf meinem Frühstück. Als er sich unbemerkt fühlt, wirft Wolkensturm einen sehnsüchtigen Blick auf meine Fische, doch sobald ich wieder den Kopf hebe, schaut er nur gelangweilt hinaus. Es wird ihm nicht möglich sein, sich demnächst etwas zu essen zu fangen, überlege ich. Ich werfe einen abschätzenden Blick auf meinen Fischhaufen, dann schubse ich einige Fische in seine Richtung. „Hast du Hunger?“ Überrascht blickt mich Wolkensturm an. „Wirklich?“, fragt er zögerlich. Während ich schon einen Fisch im Maul habe, nicke ich bestätigend. „Danke.“ , sagt er ehrlich und folgt meinen Beispiel.


Kapitel 12 – Vertrauen?

Während wir dort so nebeneinander sitzen und unsere Fische fressen, werfe ich Wolkensturm verstohlen einen Blick zu. Er wirft alle meine Vorstellungen über den Haufen. Uns wurde immer von den blutrünstigen Bestien erzählt, die keine Gelegenheit auslassen zu töten. Nun, ich sehe zwar nicht mehr aus wie ein Wikinger, aber irgendwie hatte ich angenommen, die Drachen würden auch miteinander so umspringen.
Doch Wolkensturm wirkt weder blutrünstig noch wie eine wirkliche Bestie.
„Wie bist du eigentlich hier her gekommen?“ , fragt dieser nun. Kurz überlege ich, was ich sagen soll, dann antworte ich wahrheitsgemäß: „Ich wurde von meiner Insel verjagt.“ Mehr gebe ich nicht preis. Wolkensturm schaut mich teilnahmsvoll an. „Das tut mir leid. Waren es Wikinger?“ Überrumpelt stottere ich: „J-ja.“
„Oh...“ , sagt er betreten. Bevor Wolkensturm weitere unangenehme Fragen stellen kann, auf die ich für ihn keine Antwort habe, wechsle ich schnell das Thema: „Und was machst du hier?“ Wie könnte ich ihm auch etwas erklären, das ich selbst nicht verstehe? Und ich fang lieber gar nicht erst damit an, dass diese Wikinger meine Familie sind.
Offensichtlich durchschaut er meinen Versuch weitere Fragen zu vermeiden, auch wenn es einen anderen Grund hat, als er vielleicht annimmt und antwortet mir bereitwillig: „Ich wollte einen alten Freund besuchen, aber dieser Sturm hat mich wohl stark vom Kurs abgebracht.“
Aus irgendeinem Grund versetzt mir das einen Stich.
Ich ringe mich durch zu lächeln: „Ah, schön.“ , und wende mich ab. Betreten setzte ich mich an den Eingang der Höhle und starre in den Regen. Es ist völlig irrational, aber ich fühle mich auf ein mal wieder einsam. Abgeschottet von meinen Freunden.
Wolkensturm setzt sich neben mich und wirft mir einen Seitenblick zu. Er setzt an, etwas zu sagen, bricht jedoch ab. Stille breitet sich aus und schweigend schauen wir gemeinsam in das Unwetter außerhalb unseres Unterschlupfes.
Ich verstehe es selbst nicht, aber plötzlich fühle ich mich weniger alleine.
Nach einiger Zeit blickt er mich an. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Langsam nicke ich, „Ja, es ist nichts.“ , winke ich ab und schaue wieder hinaus. Ich hadere mit mir, murmle dann aber doch: „Svenja.“ „Was?“ , fragt der Sturmbrecher verwirrt. „Ich heiße Svenja.“ , eröffne ich ihm. Zögernd schaue ich ihm in die Augen und bedeutungsvoll erwidert er den Blick.
Dann fängt er an zu kichern und kann kaum das Lachen unterdrücken. „Das ist ein merkwürdiger Name für einen Nachtschatten.“ , kichert er. Ich setze einen spielerisch beleidigten Blick auf, sein tiefes Lachen ist jedoch so ansteckend, dass ich schon nach kurzer Zeit mit einsteige.

Am Abend haben wir beide uns nicht unweit des Einganges zusammen gerollt und lauschen dem Prasseln des Regens. Angestrengt horche ich auf das entfernte Donnern. Das Gewitter ebbt ab, doch es regnet unbarmherzig weiter.
Dieser Sturm hat im Dorf sicher einige Schäden angerichtet. Wahrscheinlich sind sie trotz des Regens schon dabei, das nötigste wieder herzurichten. Der Mast auf dem Dorfplatz mit dem großen Banner ist bestimmt mal wieder umgekippt und muss mühselig erneut aufgerichtet werden. Vielleicht sind die Yaks von Skipp bei dem Wind durchgedreht und haben die Umzäunung nieder getrampelt. Es wäre jetzt die Aufgabe von mir und meinen Freunden, sie wieder zusammen zu treiben. Am liebsten würde ich nachsehen gehen, ob bei ihnen alles in Ordnung ist. Aber das ist nicht möglich. Betrübt lege ich meinen Kopf auf meine Arme – verdammt, Pfoten!
„Was machst du, wenn der Regen aufhört?“ , fragt Wolkensturm in das Schweigen hinein. „Was meinst du?“ , entgegne ich schläfrig. „Naja, du meintest du bist her gekommen, weil du von deiner Insel vertrieben wurdest. Was hast du dann vor, wenn der Sturm abflaut?“ , erklärt er. Ich hebe unsicher den Kopf. Ich habe darüber noch gar nicht nachgedacht. „Ich – weiß es nicht.“ , antworte ich deshalb niedergeschlagen. „Vielleicht kannst du dir deine Insel zurückholen.“ , macht der Sturmbrecher einen Vorschlag. Ich schüttle den Kopf: „Nein, das geht nicht.“ Aber was mache ich dann? Ich könnte einfach auf dieser Insel bleiben. Diese Idee verwerfe ich schnell wieder. Was soll ich denn hier machen? Die Nähe zu Fallow wird mich immer wieder daran erinnern, was ich verloren hab. Außerdem wird irgendwann bekannt, dass hier ein Nachtschatten wohnt. Nein, hier bleiben ist keine Option. Doch was dann?
So schwer es mir auch fällt, muss ich zugeben, dass es am besten wäre, ein neues Leben zu beginnen. Weit weg von meinem alten Leben. Ich seufze.
Was machen Drachen denn so den ganzen Tag? Faul in der Sonne liegen und ab und zu Dörfer für Futter überfallen? Das wäre auf keinen Fall das, was mir bei einem Neuanfang vorschwebt.
Das einzige, was ich weiß ist, dass ich nicht hierbleiben kann. Vielleicht kommt alles Weitere mit der Zeit. Ich könnte von Insel zu Insel reisen und möglicherweise kommt mir dann eine Idee, was ich mit meinem neuen Leben anfangen soll. Mein neues Leben. Das klingt beinahe beängstigend. Aber ich hab doch keine Wahl, als alles hinter mir zu lassen.

Etwas kitzelt mich an der Nase, sodass ich niesen muss und zwingt mich dadurch aufzuwachen. Verschlafen drehe ich mich auf den Rücken. Ich strecke mich genüsslich und gähne. Ein warmer Sonnenstrahl scheint direkt auf meinen Bauch. Moment – Sonne!? Ich springe auf und stolpere zum Höhleneingang. Statt dunkler Wolken begrüßt mich ein strahlend blauer Himmel. „Hey! Wolken…“ , ich drehe mich um und stocke. „…sturm?“ Die Höhle ist leer.
Ungläubig starre ich hinein. Möglicherweise ist er einfach vor die Höhle gegangen. Ein kurzer Blick nach draußen genügt, um zu erkennen, dass dem nicht so ist. Wolkensturm ist weg! Er hat sich nicht einmal verabschiedet. Wütend stampfe ich in der Höhle umher. Er ist einfach abgehauen. Sobald der Wind sich gelegt hatte und es ihm wieder möglich war draußen zu fliegen, war er weg. Irgendwie bin ich deswegen enttäuscht. Es ist nur ein Drache, denke ich traurig, wie konnte ich mehr erwarten.
Aber… ach keine Ahnung. Ich dachte wir wären zumindest so etwas ähnliches wie – Ja, so etwas ähnliches wie Freunde.
Auf ein Mal höre ich ein flatterndes Flattern. Mein Kopf schnellt zur Höhlenöffnung. Elegant landet dieser vierflüglige Drache mit einem Maul voller Fischer auf dem Vorsprung der Höhle. Baff starre ich ihn an. Er war fischen, kommt mir die Erkenntnis. Oh.
Verschämt versuche ich meine Verblüffung zu überspielen und lächle Wolkensturm zu: „Guten Morgen.“ „Ja er ist fantastisch oder? Endlich hat der Sturm sich gelegt.“ , antwortet dieser, nachdem er die Fische auf den Boden hat fallen lassen. „Ich wollte mich revanchieren und habe uns Frühstück besorgt.“


Kapitel 13 – Diebstahl

Mit gesenktem Kopf verschlinge ich die Fische. Ich habe ihm Unrecht getan. Beschämt werfe ich dem Sturmbrecher mir gegenüber einen kurzen Blick zu. Falls ihm mein komisches Verhalten auffällt, lässt er es sich nicht anmerken.
Wolkensturm schluckt seinen letzten Fisch im Ganzen runter und schaut energiegeladen in den Himmel. Er sieht aus, als würde er sich jeden Moment in das wolkenlose Blau schwingen wollen.
„Wirst du jetzt weiter zu deinem Freund fliegen?“ , frage ich ihn, aus irgendeinem Grund traurig über den bevorstehenden Abschied. „Ja.“ , er überlegt kurz, „Hast du Lust mit zu kommen?“ „Du willst mich dabei haben?“ , frage ich überrascht über dieses Angebot. „Ja, alleine reisen ist doch langweilig. Außerdem meintest du, du wüsstest noch nicht wohin du jetzt gehen sollst. Wenn du allerdings stattdessen deine Insel zurück erobern willst, verstehe ich das natürlich.“ , erklärt er. „Danke.“ , meine ich ergriffen , „Ich komme sehr gern mit.“ Wieso auch nicht. Er hat ja Recht, ich habe keine Ahnung was ich nun tun soll. „Dann mal los!“ , lacht er übermütig und springt zum Höhlenausgang.
Voller neuem Tatendrang sehe ich Wolkensturm dabei zu, wie er sich elegant in den Himmel schwingt. Es ist schön wieder zu wissen, wohin ich will. Eine Richtung zu haben, in die ich gehen - fliegen kann, anstatt tatenlos rumzusitzen. Auch wenn ich immer noch nicht so sicher weiß wie früher, was zu tun ist, ist es immerhin ein Anfang.
Nun breitet sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen aus, als ich auf den Vorsprung trete. Nicht das ich Höhenangst hätte, nein, aber der Gedanke zu springen, sorgt schon für ein Flattern im Magen. Ich bin zwar schon einmal ins Leere gesprungen, doch das war auf der Flucht mit lauter Adrenalin im Blut. Da hab ich nicht darüber nachgedacht. Ich hatte auch gar keine Zeit dafür. Ich bin einfach gesprungen. Jetzt denke ich viel zu viel darüber nach.
Ich fasse mir ein Herz. Ich ducke mich an die Kante, breite meine tiefschwarzen Flügel aus und stoße mich kräftig vom Fels ab.
Ein paar Äste schlagen gegen meine Beine, während ich knapp über den Baumwipfeln krampfhaft darum kämpfe an Höhe zu gewinnen. An sich läuft es ganz gut. Konzentriert achte ich anschließend darauf gleichmäßig mit den Flügeln zu schlagen, um die erreichte Höhe zu halten. Dabei entgeht mir jedoch nicht der schräge Seitenblick von Wolkensturm.
„Haben dir deine Eltern als Jungdrache denn gar nicht das Fliegen beigebracht?“ , fragt er schmunzelnd über meinen Versuch ihm auszuweichen, als er spielerisch urplötzlich in meinem Weg geflogen war. „So könnte man es sagen.“ , entgegne ich wage. Nachdenklich werfe ich ihm unbemerkt einen kurzen Blick zu. Er findet mich sicher jetzt schon merkwürdig. Ich fürchte, irgendwann wird er sich zusammenreimen können, dass etwas mit mir nicht stimmt. Doch er wird niemals darauf kommen, was wirklich mit mir passiert ist; was ich wirklich bin. Es ist einfach … zu absurd.
„Ich glaub, du brauchst nur ein wenig Übung, nachdem wir so lange in dieser Höhle festsaßen.“ Neugierig schaue ich Wolkensturm zu, der gerade eine langgezogene Kurve um mich herum fliegt und sich kurz darauf in die weißen Wolken schraubt. Unbeabsichtigt hat er mir gezeigt wie man lenkt! Zaghaft probiere ich es selbst aus und drehe die Schwanzflosse, sowie meinen Körper nach rechts. Augenblicklich fliege ich auch die Kurve und werde ein wenig mutiger mit dem Ausprobieren. Schon bald habe ich den Bogen einigermaßen raus und auch Wolkensturm stößt wieder zu mir.
Er deutet nach Südwesten, wie ich dem Stand der Sonne entnehme, „Wir müssen in diese Richtung.“

Wir sind erst kurze Zeit unterwegs und ich bin noch kaum erschöpft, da taucht in einiger Entfernung ein Boot auf dem Wasser auf. Bei genauerem Betrachten stelle ich fest, dass es sich um ein Fischerboot handelt, jedoch keines von unseren. Wolkensturm steigt ein wenig höher auf, sodass er gerade oberhalb der Wolkendecke kaum zu sehen ist. Ich folge besser seinem Beispiel.
„Lust auf eine kleine Wegzehrung?“ , ruft mir der Sturmbrecher ausgelassen zu. Verwirrt schaue ich ihn an, doch bevor ich etwas sagen kann, stürzt er sich in die Tiefe. Direkt auf das Boot zu, welches sich nun geradewegs unter uns befindet. Er will Fisch stehlen, wird mir jetzt klar. Unschlüssig kreise ich über dem Fischerboot und sehe zu, wie sich der einsame Drache auf die Fischernetze stürzt, begleitet von den Protestschreien der Eigentümer. Immer noch schwankend, ob ich Wolkensturm helfen sollte, drehe ich weiter meine Runden. Diesen Wikingern geht es genauso wie meinem Dorf so viele Male. Aber wie ich nun sicher weiß, können Drachen doch genauso gut alleine fischen. Warum stehlen sie dann?
Wolkensturm ringt mit dem einen der beiden Männer auf dem Schiff um das Netz, als der andere hinter ihm auf einmal ein Schwert in der Hand hält. Reflexartig stoße ich hinab durch die Wolkendecke. Ich hab einfach reagiert, ohne groß nach zu denken.
Der Wikinger mit dem Schwert erstarrt, als mein Schatten auf ihn fällt. Ich kann mir nur annähernd vorstellen, was ich für einen Anblick abgeben muss: ein pechschwarzer Drache mit gefletschten Zähnen, der aus dem Nichts auf einen zurast.
Der Mann findet stockend seine Stimme wieder und schreit: „Naachtschatteeen!“
Auch der andere bleibt bei diesem Ausruf wie erstarrt stehen. Für Wolkensturm ist es anschließend ein leichtes ihm das Netz voller Fische zu entreißen.
Zufrieden lässt er nun vom Schiff ab und entfernt sich in unsere ursprüngliche Richtung. Eilig folge ich ihm. Hinter uns ertönen die ärgerlichen Ausrufe der bestohlenen Wikinger. Bestohlen für etwas, dass wir auch gut hätten selber fangen können.
„Was sollte das?“ , schnauze ich ihn an, „Wir hätten uns auch alleine Fische fangen können.“ „Ja, hätten wir.“ , gibt der Angesprochene störrisch zurück, „Aber irgendjemand muss die Wikinger doch davon abhalten den ganzen Fisch für sich alleine zu beanspruchen und die Meere leer zu fischen.“ „Wikinger fangen alle Fische weg? Woher hast du das denn?“ , frage ich irritiert. „Alle sagen das.“ , entgegnet er nur.
Mehr sagt Wolkensturm dazu nicht mehr und ich lasse das Thema auf sich beruhen. Von wegen, wir fangen alle Fische weg. So ein Quatsch. Es sind doch genug da.


Kapitel 14 - Wikinger

„Wie ist dein Freund denn so?“ , frage ich nach einer Weile, um die seltsame Stille zwischen uns zu unterbrechen. „Rhao? Er ist eigentlich zu jedem freundlich und aufgeschlossen. Allerdings ist er auch manchmal griesgrämig drauf. Er ist schon sehr alt, musst du wissen. Er hat viel erlebt und ich könnte wetten, er hat auf jede Frage eine Antwort.“ , antwortet Wolkensturm, während wir weiter über das weite Meer hinweg fliegen. Das Fischnetzt treibt inzwischen irgendwo hinter uns in den Wellen.
Ein Gedanke wächst in meinem Kopf heran und lässt eine kleine Flamme der Hoffnung auflodern. Auf jede Frage eine Antwort. Was ist wenn… wenn er auch auf meine Fragen Antworten hat. Vielleicht habe ich nun wirklich jemanden gefunden, der weiß was geschehen sein könnte! Vielleicht bekomme ich doch endlich Antworten.
Vielleicht auch nicht. Ich versuche die aufkeimende Hoffnung wieder nieder zu drücken. Die Chancen sind gering, dass es so einen Fall wie bei mir überhaupt schon gab, geschweige denn, dass dieser Rhao davon gehört hat. Das wäre wirklich zu schön um wahr zu sein. Ich bin höchst wahrscheinlich die erste und einzige, der so etwas je passiert ist. Ich sollte nicht zu viel darauf setzen, dass Rhao Antworten für mich hat. Am Ende werde ich nur enttäuscht sein.
Und doch kann ich die leise Hoffnung nicht ganz vertreiben und ich lege unmerklich an Geschwindigkeit zu.

Aus der Ferne entdecke ich ab und zu weitere Schiffe, manchmal auch mehrere, mit stolz geblähten Segeln, die Zielstrebig ihren Kurs verfolgen. Wolkensturm beachtet sie nicht, dennoch wird mir klar, wie es für Drachen wie ihn aussehen muss. Ich weiß, dass nicht alle diese Boote zum Fischen auf See sind und kann sie auch unterscheiden. Die Drachen sehen einfach die vielen Schiffe und ziehen ihre Schlüsse aus mangelhaften Informationen. Vielleicht sollte ich es ihm erklären. Ich entscheide mich dagegen. Es würde zu viele Fragen aufwerfen. Soll er doch glauben, was er will.
Nach einiger Zeit werden meine Bewegungen weniger fließend. Ich hab einfach immer noch zu wenig Übung und Ausdauer im Fliegen. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und bemühe mich mit Wolkensturm mit zu halten. Dennoch werde ich mit der Zeit langsamer und ich muss öfter mit den Flügeln schlagen, um die Höhe zu halten. Auch mein Begleiter scheint es zu merken: „Lass uns auf der nächsten Insel eine kleine Pause machen.“ Ich nicke lediglich, dankbar für diesen Vorschlag.
Schon nach wenigen Meilen tauchen in der Ferne ein paar Inselgruppen auf. Als wir näher kommen, deute ich auf die erstbeste Insel. Ich kann es kaum erwarten meinen Muskeln eine Pause zu können. „Schau, da können wir doch landen.“ Wolkensturm wirft einen skeptischen Blick auf die nicht mehr weit entfernte Insel. „Nein, besser nicht. Dort leben Wikinger.“ Er macht mich auf den Hafen und das halb vom Wald verdeckte Dorf aufmerksam. „Bis die merken, dass wir da waren, sind wir schon längst wieder weg.“ , versuche ich ihn zu überreden. Ich will einfach nur noch landen.
Gerade in diesem Augenblick ertönt ein warnender Ruf aus dem Dorf: „Draacheen!“
Wolkensturm hebt eine Augenbraue und schaut zu mir. „Vergiss was ich gesagt hab.“ , hindere ich ihn mürrisch daran, etwas dazu zu sagen.
Wir drehen ab und machen einen Bogen um diese Insel. Glücklicherweise gibt es hier in der Nähe weitere einladende Insel zum Pausieren.

Als wir schließlich weiter fliegen, wird das weite endlose Meer von vielen vereinzelten Inseln und Inselgruppen von verschiedener Größe abgelöst. Wir fliegen nun öfter über Wikingerdörfer hinweg und sehen auch häufiger irgendwelche Schiffe und kleinere Boote. Auf einmal entdecke ich ein Stück voraus ein kleines offenbar an Felsen zerschelltes Boot. Ich lasse mich etwas absinken um es mir genauer an zu schauen. Das Boot sieht völlig zerstört aus und einige Planken treiben auf den Wellen. Plötzlich nehme ich ein schwaches Husten wahr. Es muss seinen Ursprung irgendwo zwischen dem zersplitternden Holz haben. Ich strenge meine Augen an. Eine Bewegung und das darauffolgende Plätschern erregt meine Aufmerksamkeit. Es ist ein Junge, der sich mit Mühe an einem Holzstück festhält. Lange wird er sich nicht mehr festhalten können.
Ich lege meine Flügel an und stürze, nun schon ein wenig geübter, auf den Wikinger zu. Kurz bevor ich ihn erreiche, bremse ich ab, strecke meine Pfoten aus und kralle mir den Jungen. Dieser zuckt zusammen, als er plötzlich aus dem Wasser gezogen wird und strampelt wild um sich. „Halt doch mal still.“ , murre ich ihn an. Damit erreiche ich jedoch nur ein unkontrolliertes Um-sich-schlagen des Jungen. Genervt brülle ich ihn an, woraufhin er erst einmal still in meinen Krallen hängt. Wolkensturm schließt zu mir auf. „Wieso hilfst du einem Wikinger?“ „Er war am ertrinken.“ , rechtfertige ich mich, doch Wolkensturm scheint nicht zu verstehen. Suchend schaue ich mich um. Von welcher Insel dieser Junge wohl stammt? Letztendlich entscheide ich mich dazu, ihn einfach auf der nächstbesten ab zu setzten. Er hat wohl noch nicht verstanden, dass es sich hier um eine Rettungsaktion handelt, denn er hat wieder angefangen sich zu wehren und versucht sich aus meinen Pfoten zu winden. „Da siehst du es: Er will unsere Hilfe nicht.“ , meint Wolkensturm geringschätzig.
Kurz darauf steuere ich zum Landen einen hübschen Sandstrand an einer kleinen Insel an. Keinen Meter über dem Sand lasse ich den Jungen fallen und lande dann neben ihm. Forschend suche ich nach Verletzungen, doch er robbt rückwarst von mir weg, was mein Vorhaben erschwert. Schließlich rappelt der Wikingerjunge sich hastig auf und rennt weg. Ich seufze und zucke mit den Schultern.
Zurück in der Luft schaut Wolkensturm mich verständnislos an. „Ich musste ihm doch helfen.“ , versuche ich mich zu erklären. „Keiner der Wikinger würde uns helfen, wenn wir hilflos im Wasser treiben.“ Ich senke den Kopf. „Nein, würden sie nicht.“

Langsam neigt sich der Tag seinem Ende zu und Wolkensturm steuert eine Insel an, auf welcher wir übernachten können. Erschöpf lande ich weniger elegant als mein Begleiter kurz zuvor auf einem Grashügel. Die Insel ist überschaubar mit wenig Vegetation. Allerdings laufen wir so auch keine Gefahr überrascht zu werden. Entkräftet lasse ich mich einfach an Ort und Stelle auf den Boden plumpsen und strecke meine Flügel von mir. Plötzlich spitzt Wolkensturm seine Ohren, soweit man seine hornartigen Kopffortsätze so bezeichnen kann.
Was ist denn jetzt schon wieder? Ich bin genervt, erschöpft und will gerade nur noch schlafen. Doch auch ich höre nun das Plätschern des Wassers, welches augenscheinlich von einem Schiff erzeugt wird. Infolgedessen höre ich auch Stimmen von Wikingern, die sich Befehle zubrüllen und einige Augenblicke später am Strand anlegen. Offenbar wollen auch sie hier übernachten.
„Wir müssen hier weg.“ , entscheidet Wolkensturm. „Aber sie wollen doch auch nur hier übernachten. Sie werden schon nicht die gesamte Insel durchforsten.“ , fange ich ungehalten an. Nun wird auch Wolkensturm aufbrausend: „Ich weiß ja nicht, wie lange du auf deiner Insel gehockt hast, dass du keine Ahnung hast was für einen großen Bogen man um jegliche Wikinger machen sollte und du sogar das Fliegen verlernt hast, aber es ist naiv zu denken, dass sie uns in Ruhe lassen werden. So sind Menschen. Sie lassen einen nicht in Ruhe! Sie vertreiben uns Drachen von den Inseln auf denen wir uns niederlassen.“
Überrascht schaue ich ihn an. „Okay, wenn du meinst.“ Ich seufze. Wieder fliegen…

Glücklicherweise dauert es nicht lange bis wir eine andere Insel gefunden haben. Ohne jede Spur von Menschen. Etwas abseits von Wolkensturm lasse ich mich auf das Gras sinken. Endlich kann ich mich hinlegen und entspannen.
Abgesehen von unserem Atem ist die Nacht beruhigend still. Nur die Wellen des Meeres sind zu hören. Über uns wölbt sich der klare Sternenhimmel und die Sterne glitzern in der Dunkelheit wie tausende kleine Diamanten.
Ob es für die Drachen immer so ist? Überlege ich. Sind sie immer auf der Flucht, auf der Suche nach Nahrung oder einem sicheren Platz zum Schlafen? Schon dieser Tag hat mir an Stress mit Wikingern gereicht. Mir wird schlagartig klar, wie ironisch das alles ist. Früher habe ich den Ärger auf die Drachen geschoben. Inzwischen weiß ich nicht mehr, was ich denken soll.


Kapitel 15 – Richtig oder Falsch

Auch am nächsten Morgen lassen mich diese Gedanken nicht los. Wie kann sich etwas, das für mich früher so richtig war, nun so fragwürdig anfühlen? Der Kampf gegen Drachen. Wie konnte ich mir damals so sicher sein? Ich habe früher gedacht, es wäre notwendig und habe es für selbstverständlich gehalten. Ich wurde eines Besseren belehrt. Nun habe ich nicht mehr die leiseste Ahnung was ich denken soll, geschweige denn, was richtig ist. Wie kann es sein, dass ich mich derzeit viel mehr meinem Wikinger-Dasein beraubt fühle, als kurz nach meiner Verwandlung in einen Drachen? Jetzt bin ich mir nicht mehr wirklich sicher, warum wir kämpfen. Es ist nicht allein die Schuld der Drachen. Soweit ist es mir klar. Beide Seiten sind mit verantwortlich an den Kämpfen.
Ich werde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als Wolkensturm mir wohl schon zum zweiten Mal eine Frage stellt. „Wollen wir fischen gehen?“
Ich schaue mich um. Wir sind mitten über dem weiten, tiefblauen Ozean. „Du willst hier fischen?“ , frage ich verwundert. Er lächelt mir verschmitzt zu. „Hast du etwa noch nie auf dem freien Ozean gefischt? Ich zeig’s dir.“

Leider haben wir keinen Erfolg beim Fischen. Wolkensturm hat gerade mal zwei Fische gefangen und ich habe mit einem Fisch auch keine bessere Ausbeute. Wir stehen nun knapp über dem Ozean in der Luft und ich halte nach weiteren Fischen Ausschau. „Mach dir nichts draus.“ , versucht mich Wolkensturm aufzuheitern, „Manchmal hat man einfach kein Glück.“ Frustriert schlage ich mit einer Pfote ins Wasser. Dabei bekommt der Sturmbrecher einen Schwall Wasser ab. Überrascht schüttelt er sich die Tropfen vom Kopf und ich muss leise kichern, was als Drache eher wie ein Glucksen klingt. „Das findest du also lustig, was?“ Mit einem Schmunzeln schlägt er mit seiner Pfote in eine Welle und spritzt mich nass. „Heh!“ , beschwere ich mich und halte mir die Arme vors Gesicht. Jedoch lässt der Wasserschwall nicht nach. „Na gut. Wie du willst.“ , keuche ich. Ich höre auf mit den Flügeln zu schlagen und lasse mich wie einen Stein ins Meer plumpsen. Damit hat Wolkensturm nicht gerechnet und wird voll von der damit ausgelösten Welle getroffen. Nach einer kurzen Wasserschlacht flieht Wolkensturm lachend in die Luft. Eilig folge ich ihm und versuche ihn einzuholen. Ich bin langsam schon recht geübt und manche Sachen mache ich auch schon beinahe automatisch, trotzdem komme ich nicht einmal in die Nähe von Wolkensturm. Dieser fliegt wendige Manöver und macht sich einen Spaß daraus, mich erst nah rankommen zu lassen, nur um mich dann mit einer geschickten Aktion alt aussehen zu lassen. „Das ist. aber auch. fies.“ , keuche ich nach einer Weile, „du hast. vier Flügel.“ Wolkensturm wartet in der Luft auf mich und nebeneinander setzen wir unsere Reise fort.

Nach einer kurzen Pause am Mittag entdecke ich ein weiteres Schiff mit blauem Segel. Es kommt mir bekannt vor. Da fällt es mir wieder ein. Das muss das Schiff von Händler Keynan sein. Er kommt auch manchmal auf Fallow vorbei und er gilt als eher Drachenfreundlich. Ich habe mich immer gefragt, wie er es anstellt nie von Drachen angegriffen zu werden. Neugierig fliege ich näher an das Schiff heran. Ich habe das Wappen auf dem Segel erkannt: ein Wanderfalke. Es ist ganz sicher Händler Keynan.
Beim Näherkommen kann ich ihn auf seinem Deck ausmachen, wie er gerade ein paar Körbe aus dem Schiffsinneren holt. Nun blickt er auf und entdeckt uns beide. Wolkensturm bleibt zögerlich zurück, während ich näher an das Schiff herangleite und einige Meter neben ihm herfliege. Begeistert tritt Händler Keynan an die Reling. „Bei Odin, ich glaub es nicht. Ein Nachtschatten!“
Ich werde nun etwas mutiger und drehe eine Kurve über das Deck drüber. „Was machst du denn da?“ , ruft Wolkensturm etwas entsetzt. „Es ist okay. Ich kenne ihn.“ , rufe ich zurück. Keynan scheint überwältigt: „Es gibt euch also doch.“ Höre ich ihn wenige Meter neben mit flüstern. Er dreht sich von der Reling weg und öffnet einen seiner Körbe. Sofort steigt mir der Geruch von Fisch in die Nase. Auch Wolkensturm scheint es zu riechen und traut sich nun näher heran. Der Händler schmunzelt. „Das habt ihr wohl alle gemeinsam.“ , und wirft einen Fisch in die Luft. Geschickt schnappt Wolkensturm ihn sich und geht wieder auf Abstand. Ein weiterer Fisch kommt auf mich zu geflogen und ich fange ihn freudig. Ich lasse ein dankbares Brüllen hören, bevor ich abdrehe und Wolkensturm folge.
So schafft er es also sich die Drachen zu Freunden zu machen. Anders als andere Wikinger, greift er nicht sofort zur Waffe, wenn Drachen in Sicht kommen. Er begegnet ihnen nicht feindselig, sondern freundlich und ohne Vorurteile.

Am Abend kommt ein leicht stürmischer Wind auf. Das Meer ist aufgewühlt und die Bäume auf der Insel, auf welcher wir Rast machen, wiegen sich in den Böen. Wolkensturm und ich liegen geschützt zwischen mehreren größeren Steinen.
„Weißt du,“ , Wolkensturm schaut mich nachdenklich an, „du hattest Recht. Vorhin mit dem Wikinger. Wie kommt es, dass du in Wikingern irgendwie nur das Beste siehst?“ Da ich ihm diese Frage nicht wirklich beantworten kann, stelle ich eine Gegenfrage: „Wie kommt es, dass du so ein schlechtes Bild von ihnen hast?“ „Schlechte Erfahrungen, schätze ich.“ Wolkensturm schaut kurz in den Himmel, dann wendet er seinen Blick auf das Meer. „Meine Eltern haben mich und meine Geschwister immer vor Wikingern gewarnt. Schon früh haben wir erfahren wie Recht sie hatten. Eines Tages sind Wikinger mit ihren gefährlichen Metallklauen aufgetaucht. Wir mussten fliehen. Sie haben uns einfach von unserer Insel vertrieben. In diesem Chaos ging mein Bruder verloren. Ich habe ihn nie wieder gesehen.“ , endet er und senkt den Kopf.
„Das … tut mir leid.“ , flüstere ich mitfühlend. Traurig lächelnd schaut der Sturmbrecher auf. „Du kannst ja nichts dafür. Ich wünschte alle Wikinger wären so wie der, von diesem Schiff vorhin. Und es würde sicher auch helfen, wenn mehr Drache so wären wie du.“ Völlig überrumpelt starre ich ihn an. „Wieso wie ich?“ „Du scheinst den Wikingern eine Chance zu geben, scheinst an das Gute in ihnen zu glauben und rettest sie, selbst wenn du sicher bist, dass sie so etwas nie für dich gemacht hätten.“
Schuldig senke ich meinen Kopf. Wolkensturm sieht mich vielleicht so, aber er kennt nicht mein wahres Ich. Denn das ist, wie ich nun merke, naiv und grausam. In Gedanken blitzen so viele Bilder von verletzten Drachen auf, an denen ich schuld bin. Die ich angegriffen haben, einfach nur weil es eben Drachen waren. Mir fallen so viele Situationen ein, in denen sich die Drachen wahrscheinlich einfach nur verteidigt haben. Ich bin nicht so jemand der versucht Frieden zu schaffen, wie Wolkensturm denkt. Eher habe ich alles dran gesetzt um die Beste in diesem scheinbar unendlichen Kampf zu sein. Bis vor kurzem habe ich nicht einmal daran gedacht, dass es Frieden geben könnte. Ich habe die ganze Schuld an unserer Situation, uns ständig verteidigen zu müssen, immer auf die Drachen, die grausamen Bestien, geschoben. Doch nun wird mir allmählich klar, dass uns immer die größere Schuld zugefallen ist. Wir denken keine Sekunde darüber nach, welchen Grund die Drachen hätten uns anzugreifen. Stattdessen schüren wir die Kämpfe nur. Und wir denken nicht daran, wie es für die Drachen ist.
Nur durch diese Verwandlung habe ich erfahren, wie es ist ein Drachen zu sein, auf der Flucht und der Suche nach Futter. Nur deswegen kenne ich beide Seiten der Münze. Deshalb weiß ich nun, was in den Köpfen meiner eingeschworenen Feinde vorgeht. Erst jetzt erkenne ich, wie lächerlich die ewigen Kämpfe sind und auch die Vorurteile beider Parteien. Welchen Zweck hat dieser Krieg eigentlich?
„Ich bin so nicht.“ , setzte ich an, „Ich hab das alles nicht getan, weil ich an das Gute in den Wikingern glaube, sondern weil ich es nicht gewohnt bin, von ihnen angegriffen zu werden.“ Ich atme tief durch. „In meinem … Clan gibt es eine Art Tradition. Ich habe jeden Tag geübt, um die beste darin zu sein; um eines Tages eine gute Anführerin zu sein. Ich habe diese Tradition nie hinterfragt oder darüber nachgedacht, warum wir es machen. Es ist quasi das Gegenteil von dem, was ich die letzten Tage gemacht habe. Und erst durch diese Tage habe ich erfahren, wie falsch diese Tradition ist. Es … es tut mir … so leid.“ Ich halte inne.
Erst in der darauffolgenden Stille bemerke ich das leise Schnarchen. Wolkensturm hat die ganze Zeit schon geschlafen.


Kapitel 16 – Drachenkampf, die 2.

Seltsam gefühlslos schaue ich der Sonne dabei zu, wie sie langsam untergeht. Eigentlich ist es ein traumhaftes Bild: Ein Feuerball, der im Meer versinkt und die ganze Welt in orange-rotes Licht taucht. Wir sind heute beinahe den ganzen Tag geflogen. Nur eine kurze Pause am Nachmittag. Laut Wolkensturm haben wir bald schon unser Ziel erreicht. Und so komme ich auch meinen Antworten näher. Trotzdem fühle ich mich irgendwie leer. Körperlich geht’s mir gut, ich bin kaum erschöpft.
Gestern Abend gibt mir zu denken. Was bin ich denn jetzt noch? Wikinger, Drache? Ich schaue an mit herunter. Kurz nach meiner Verwandlung habe ich daran festgehalten, dass mich ein Körper nicht gleich zum Drachen macht. Ich hatte noch immer die selbe Einstellung. Ich war immer noch ich.
Doch nun… Ich sehe aus wie ein Drache und denke schon langsam wie einer. Was bin ich denn nun? Ich nehme an ich bin eine merkwürdige Mischung aus beidem. Nicht richtig Drache, aber ich fühle mich auch nicht mehr wirklich wie eine Wikingerin. Ich seufze. Wie kann es sein, dass mir solche Gedanken mehr den Boden unter den Füßen wegreißen, als die Verwandlung?
„Schau mal!“ Wolkensturms Ruf lässt mich wieder ins hier und jetzt zurückkehren. In der Ferne lodert ein helles Feuer auf. Vor den Flammen, welche in der Nacht wie ein Leuchtfeuer wirken, zeichnen sich einzelne Hütten ab. Ein Wikingerdorf.
Als wir näher kommen ist der Kampf schon voll im Gange. Überall Feuer, während Drachen versuchen Vieh zu stehlen und Wikinger diese mit allen Mitteln daran hindern wollen. Es herrscht ein heilloses Chaos. Im Himmel wimmelt es von schemenhaften, kaum auszumachenden Drachen. Im Dorf rennen die Wikinger brüllend herum. Irgendwo zischt es, wo jemand den Versuch startet eines der vielen Feuer zu löschen.
Wolkensturm stürzt sich ins Getümmel und kommt einem Gronkel zu Hilfe. Ein Wikinger wollte ihm gerade seinen Flügel mit einem Hammer zertrümmern. Dank des Sturmbrechers kommt der Drache unverletzt davon und der Wikinger landet auf einem Dach. Wobei dies noch eine bessere Position ist als die seiner Waffe, welche nun auf den Meeresboden sinkt.
Unsicher stehe ich in der Luft. Eigenartig abgeschnitten von allem. Ich schaue auf das chaotische Ganze hinunter. Wikinger gegen Drachen. Ich bin hin und her gerissen. Aber zum ersten Mal in meinem Leben kenne ich die Gründe und Vorurteile beider Seiten. Ich fühle mit den Wikingern mit, ich hab ihre jetzige Situation schon viel zu oft miterlebt. Allerdings verstehe ich nun auch die Drachen. Angriff ist für sie die beste Verteidigung. Sie haben Angst, dass die Wikinger ihnen ihre Lebensgrundlagen wegnehmen. Nicht ganz gerechtfertigt, aber dennoch nachvollziehbar, wie ich in den letzten Tagen erkennen musste.
Was soll ich denn jetzt tun? Mit meinen nachtschwarzen Schuppen bin ich in der Dämmerung beinahe unmöglich zu entdecken. Wenn ich mich raushalte, würde ich nicht einmal Gefahr laufen, verletzt zu werden.
Nein! Ich kann doch nicht einfach nur daneben stehen; mich nicht einfach raushalten. Das hier müsste auch mein Kampf sein. Doch auf welcher Seite? Zu wem gehöre ich denn jetzt noch?
Unentschlossen lasse ich mich ein wenig absinken und gleite über das Dorf hinweg. Flatternd weiche ich gerade noch rechtzeitig aus, um einem Netz zu entgehen, welches für den Drachen zu meiner Rechten bestimmt war.
Wiese können wir diese Kämpfe nicht beenden? Es muss doch möglich sein, allen zu zeigen, was ich nun weiß. Aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Drachen auf mich hören würden. Und die Wikinger verstehen mich nicht einmal.
Ich fliege schnell über das Dorf hinweg. Suchend folge ich den Wegen zwischen den Hütten entlang. Vielleicht hört Wolkensturm mir ja zu.
Nach kurzem Suchen entdecke ich ihn am Rande des Dorfes. „Wolkensturm!“ Er hebt den Kopf. Blöderweise lenkt mein Ruf ihn von seinem momentanen Gegner ab. Dieser nutzt den kurzen Moment der Unachtsamkeit von dem Sturmbrecher und schwingt seine Axt. Meine Augen weiten sich. Ich strenge mich an, doch ich werde nicht rechtzeitig bei ihm sein, um ihm zu helfen.
„Neeiin!“ , schreie ich. Ungewollt löst sich ein heller Blitz aus meinem Schrei. Völlig überrascht beobachte ich, wie dieser erschreckend zielgenau auf die Axt trifft. Es bleiben nur ein rauchender Holzstumpf und ein überrumpelter Wikinger übrig. Wow. War ich das gerade?
Tief durchatmend versuche ich mein rasendes Herz zu beruhigen. „Danke“ Wolkensturm fliegt an meine Seite. Ich nicke lächelnd über meinen kleinen Erfolg. Um uns herum verschwinden die Drachen nach und nach. Der Kampf endet. Und lässt das Dorf brennend und zerstört zurück.
Auch wir lassen es hinter uns. Ich muss mich nicht umdrehen um zu wissen, was dort nun los ist. Das Übriggebliebene wird zusammen gesucht, die Feuer werden gelöscht und Dächer repariert. So etwas ist Alltag für sie. War Alltag für mich.

Am nächsten Morgen hängen wir beide in der Stille unseren Gedanken nach. Wir sind wohl nicht mehr weit von der Insel entfernt, auf der Rhao lebt.
Es ist merkwürdig vielleicht bald Antworten zu bekommen. Vielleicht.
Aber was wäre wenn ich mich wirklich zurück verwandeln würde? Rein hypothetisch, natürlich. Ich könnte wieder zu meiner Familie zurück. Allerdings weiß ich nicht, ob ich so leben könnte wie früher. Ich habe mich verändert, und das nicht nur körperlich. Ich denke, ich könnte nicht mehr so weiter machen. Gegen Drachen kämpfen, meine ich.
Ich hab das Gefühl, ich müsste etwas dagegen tun. Ich bin die einzige, die das ganze Bild sehen kann. Ich muss dann doch etwas tun.
„Da ist sie!“ , lenkt mich Wolkensturm von meinen Gedanken ab. Vor uns liegt eine kleine, süße Felseninsel, welche in etwa zu einem drittel mit Wald bedeckt ist.
Ich lande neben Wolkensturm auf Felsen mitten in dem Wald. „Also hier lebt dein Freund?“ , frage ich, während ich mich umschaue. Er nickt. „Ja, und er müsste hier irgendwo sein.“ Er macht sich gemütlich auf den Weg in den lichten Wald und ich trotte ihm hinterher.
Da fällt mir ein, dass ich nicht einmal weiß was für ein Drache dieser Rhao ist.
Plötzlich raschelt neben uns das Unterholz. Ich schrecke zusammen und weiche einen Schritt zur Seite. In diesem Gebüsch würde sich sogar ein Riesenhafter Albtraum verstecken können.


Kapitel 17 - Rhao

Ich weiche vor dem raschelnden Gebüsch zurück. Auf einmal springt etwas heraus und landet in einer geschmeidigen Bewegung vor uns auf einem Felsen. Ich atme durch. Es ist nur ein Schrecklicher Schrecken.
Ich will mich schon abwenden, da ertönt eine Stimme. „Willkommen, alter Freund. Es ist eine Freude dich wieder zu sehen.“ Mein Kopf schnellt zurück zu dem kleinen, grüngeschuppten Drachen, welcher uns nun mit schräg gelegtem Kopf anschaut. „Rhao! Ja, ich freue mich auch.“ , entgegnet Wolkensturm herzlich. Bei genauerem Betrachten bemerke ich die leichte gräuliche Färbung der wahrscheinlich einstmals tief blattgrünen Schuppen.
„Wie ich sehe, hast du eine Freundin mitgebracht.“ Unfähig mehr zu tun, als ihn weiterhin an zu starren, antwortet Wolkensturm für mich: „Das ist Svenja. Svenja darf ich vorstellen? Das ist Rhaokinchim.“
„Bitte, nenn mich Rhao.“ , fügt der Schrecken sanftmütig lächelnd hinzu, „Du hast einen interessanten Namen.“ „Das kann ich nur erwidern.“ , meine ich ebenfalls lächelnd, „Schön dich kennen zu lernen.“
„Dann kommt mal mit, ihr beiden.“ Leichtfüßig springt Rhao von dem Felsen und flattert vor uns her. Gemächlich folgen wir ihm durch den Wald.
An einer gemütlich aussehenden Lichtung landet Rhao auf einem Felsen und faltet seinen Flügel gewissenhaft auf dem Rücken zusammen. Wolkensturm und ich lassen uns auf dem weichen Moos nieder. „Wie war euer Flug? Ich hoffe ihr seid nicht zu vielen Wikingern begegnet.“ , erkundigt sich Rhao.
Wolkensturm winkt ab. „Das übliche halt. Allerdings gab es vor einigen Tagen einen heftigen Sturm, bei dem ich zwischen landen musste. Dabei habe ich Svenja kennen gelernt.“ Nun wendet sich Rhao mir zu. „Ich bin neugierig. Woher kommst du?“
Auch wenn ich so eine Frage früher oder später erwartet habe, überlege ich fieberhaft, was ich antworte soll. Die komplette Wahrheit ist einfach keine Option. „Ich lebte auf meiner Insel nordwestlich von hier, für viele Jahre. Bis sich kurz vor dem Sturm, von dem Wolkensturm gesprochen hat, alles geändert hat. Ich wurde aus meiner Heimat vertrieben.“ Bei der Erinnerung an meine Flucht senke ich den Kopf. „Im laufe er letzten Tage haben wir dann noch häufiger Wikinger angetroffen, was für mich öfter war, als die ganzen letzten Jahre.“ Ich denke zurück an den letzten Konflikt meines Stammes mit anderen Wikingern, dem Stamm der Thursen, seit dem schon einige Jahre ins Land gezogen sind.
„Oh ich sitze hier und frage euch aus, dabei müsste ihr hungrig sein. Leider habe ich keine Fische mehr parat. Wolkensturm, würde es dir etwas ausmachen ein paar Fische fangen zu gehen? In der Bucht dort drüben gibt es immer haufenweise Fische.“ Der kleine Drache deutet in eine Richtung. Wolkensturm nickt und verschwindet zwischen den Büschen. Ratlos bleibe ich alleine mit dem Schrecklichen Schrecken zurück.
Mit einer schnellen Bewegung leckt dieser sich über ein Auge und beobachtet mich mit einem stechenden Blick, unter dem mir allmählich unwohl wird.
„Um deiner Frage vorzubeugen: Nein, ich habe noch von keinem Fall wie deinem gehört. Allerdings bergen Nachtschatten eine Kraft in sich, die meist nicht einmal sie selbst verstehen.“ Er schmunzelt. „Aber du bist ja gar kein Nachtschatten, habe ich recht?“
Verblüffung gemischt mit Verwirrung macht sich in mir breit. Rhao scheint es zwar zu bemerken, kümmert sich jedoch wenig darum und fährt fort: „Für so etwas, wie dir passiert ist, muss es einen Auslöser geben. Es kann nicht einfach so geschehen.“ Inzwischen habe ich meine Verwirrung halbwegs überwunden und stelle die Frage, die mir gerade am meisten auf der Zunge brennt: „Woher weißt du das?“
Der Schrecken hebt den Kopf. „Ach, ich bin sehr viel herum gekommen, Svenja. Da schnappt man Vieles auf. Es gibt zwar keine vergleichbaren Fälle, von denen ich je gehört hätte, aber ich habe gelernt, dass alles eine Ursache hat.“
Ich schüttle den Kopf. „Das ist zwar interessant, aber das meinte ich nicht. Wie hast du erkannt, dass ich kein wirklicher Nachtschatten bin?“
„Ach, es waren deine Bewegungen, deine Art, eigentlich Kleinigkeiten. Und nicht zuletzt dein Name.“ Ich muss lächeln. Für einen Drachen muss mein Name wirklich merkwürdig klingen.
„Wie kommt es, dass du mich nicht hasst, obwohl du weißt was ich bin? Ich könnte es dir nicht verübeln, falls du es tust.“ , frage ich zerknirscht.
„Ich denke nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Alleine, dass du Reue zeigst, weil du offensichtlich einige Sachen begriffen hast, beweist dies. Zudem habe ich noch eine Zeit miterlebt, in der Frieden herrschte. Wikinger und Drachen lebten friedlich.“
Die Büsche rascheln, als Wolkensturm wieder auf die Lichtung tritt. Ein Schwall Fische ergießt sich auf den Boden vor uns und der leckere Geruch steigt mir in die Nase.
„Diese alte Geschichte wieder?“ , meint der Sturmbrecher schmunzelnd. Rhao wirft ihm einen tadelnden Blick zu. „Ja, diese Zeiten sollten nicht in Vergessenheit geraten.“ „Das sind sie aber, Rhao. Und nun ist der Frieden vorbei. Wikinger und Drachen bekämpfen sich. Daran kannst du nichts ändern.“ , äußert Wolkensturm sanft. Bevor er noch etwas sagen kann, unterbreche ich die beiden: „Ich würde die Geschichte gerne hören. Wie war es damals und wie lange ist das alles her?“
Rhao wirft Wolkensturm einen triumphalen Blick zu. „Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Damals war ich noch sehr jung. Ich kann mich daran erinnern, dass wir spielen konnten, ohne Angst haben zu müssen Wikingern zu nahe zu kommen. Damals waren die Begegnungen meist nur flüchtig, aber ohne Gewalt. Jeder ließ den anderen in Ruhe. Doch selbst wenn wir mal in der Nähe von Menschen waren, wurden wir nicht gleich fortgejagt. So unterschiedlich die Menschen und Drachen auch waren, sie kamen miteinander aus.“
Ich bemerke wie Wolkensturm nachdenklich wird. Er spricht aus, worüber auch ich mir Gedanken mache. „Du hast mir nie erzählt, wie es dann dazu kam, dass der Frieden endete?“
„Nun, der simple Grund dafür ist, dass ich auch nicht weiß warum. Als ich älter wurde, gab es immer mal wieder kleinere Scharmützel um Inseln, aber es war noch nichts Ernstes. Doch eines Tages war alles vorbei. Auf einen Schlag gab es überall Kämpfe und Vorurteile breiteten sich unter den jüngeren Drachen aus. Ich versuchte mich wie manch andere Drachen der älteren Generation aus den Kämpfen raus zu halten. Die Jüngeren verstanden es nicht. Sie wollten es nicht verstehen. Ich weiß bis heute nicht, was der Auslöser für den Krieg zwischen Drachen und Menschen war.“ , mit einem Seufzen beendet Rhao seine Erzählung.


Kapitel 18 – lauter Fragen

Gespannt habe ich Rhaos Geschichte gelauscht und schlage ein wenig enttäuscht mit dem Schwanz, als ich bemerke, dass er schon fertig mit erzählen ist.
In unserem Dorf wurde uns nie von der Zeit des Friedens erzählt. Nicht einmal bei unseren regelmäßigen Gewittertreffen hat Whetu etwas derartiges auch nur erwähnt.
Ob sich überhaupt noch ein Wikinger an diese längst vergangenen Zeiten erinnert?
Rhao gähnt mit weit aufgerissenem Maul. „Wir reden später weiter.“ , meint er und breitet seine kleinen Flügel aus. Ich sehe ihm ratlos hinterher, als der Schrecken auf einen höhergelegenen Felsen flattert und sich dort auf einem Sonnenfleckchen niederlässt. Schon bald darauf ist ein zischendes Schnarchen zu hören.
Ich schaue in den Himmel. Die Sonne hat gerade erst ihren Zenit überschritten.
Verständnislos schaue ich zu Wolkensturm, doch er schüttelt nur belustigt den Kopf, als wolle er sagen: Frag nicht.
Aber ich hätte so gerne noch mehr gehört! Und ich muss Rhao unbedingt nochmal alleine sprechen. Ich hab zwar jetzt ein paar Antworten bekommen, bin aber genaugenommen genauso schlau wie vorher. Was soll ich denn mit diesen Informationen anfangen? Was bedeutet es, dass es für die Verwandlung einen Auslöser gegeben haben muss? Und die Andeutungen über Nachtschatten haben meine Neugier auch nicht gerade befriedigt.
Vielmehr haben sie das Gegenteil bewirkt. Ich habe noch lauter Fragen. Gibt es noch mehr Nachtschatten? Noch gar nicht so lange her dachte ich noch, diese nachtschwarzen, überaus gefährlichen Drachen würden nur in Geschichten existieren; wären lediglich ein Mythos. Niemand hatte je einen gesehen.
Fragend drehe ich mich zu Wolkensturm: „Gibt es noch mehr Drachen wie Rhao, die von der Zeit früher erzählen können?“ Der Angesprochene überlegt kurz, schüttelt dann jedoch den Kopf. „So weit ich weiß, gibt es nur noch Rhao.“
Unzufrieden raschle ich mit meinen Flügeln. Es will nicht in meinen Kopf, dass Rhao der einzige sein soll. Ich habe keine Ahnung wie alt Drachen so im Durchschnitt werden, doch wenn selbst ein kleiner Schrecklicher Schrecken wie Rhao so alt wird, sollte es doch noch andere geben. Es muss doch noch andere geben.
„Warum ist das so? Es muss doch noch andere geben, die so alt sind, wie Rhao.“ , spreche ich meine Gedanken aus.
Doch Wolkensturm schüttelt erneut den Kopf und seufzt. „Diese Frage habe ich Rhao auch mal gestellt.“ Neugierig komme ich ein paar Schritte näher. „Und?“ „Einige seiner Generation haben sich rausgehalten aus den Kämpfen, aber eben nicht alle. Und diejenigen, die es versuchten, wurden oft doch mit hinein gezogen. Die größeren Drachen konnten sich nicht ewig verstecken.“
Ich drehe beschämt den Kopf weg. „Also sind alle … tot?“ Wolkensturm grummelt bejahend.

Ich döse ein wenig auf einem sonnenbeschienen Felsen, da höre ich ein quietschendes Gähnen. Ich hebe den Kopf und sehe, dass Rhao aufgewacht ist. Schnell springe ich auf und lege die wenigen Meter zur Lichtung mithilfe ein paar Flügelschlägen zurück.
Leider ist auch Wolkensturm darauf aufmerksam geworden. Das bedeutet, ich habe erst mal keine Chance Rhao noch einmal alleine zu erwischen.
Ich überlege ob ich riskieren kann, ein paar Fragen zu stellen, während Wolkensturm dabei ist. Ich muss endlich wissen, was mit mir vorgeht. Doch ich komme zu dem Schluss, dass es einfach zu riskant ist. Also muss ich mich wohl noch gedulden.
Stattdessen stelle ich eine andere Frage: „Wie hast du es geschafft nicht von Wikingern entdeckt zu werden?“ Rhao schmunzelt. „ Ich nenne es sehr viel Glück. Ein paar mal schon bin ich nur knapp entkommen, doch auch meine Größe und die Farbe meiner Schuppen haben wohl einiges dazu beigetragen. Allerdings wird es nun auch hier immer gefährlicher. Ein Stamm segelt neuerdings öfters durch diese Gewässer.“
Ich stutze. „Bist du dir sicher, dass es nur ein einziger Stamm ist?“
Rhao nickt überzeugt mit seinem kleinen Kopf. „Alle Schiffe haben das gleiche Segel. Immer ist eine Darstellung eines Gronkels darauf.“ Meine Augen weiten sich und ich schüttle leicht, ungläubig den Kopf. Was wollen die denn hier? Was haben sie hier zu suchen? Energisch mache ich einen Schritt auf Rhao zu. „Wie viele Schiffe sind es?“
Wolkensturm und Rhao schauen mich irritiert an, dann antwortet der Schrecken: „Nun immer mal ein paar. Manchmal auch nur ein oder zwei. Du scheinst diesen Stamm zu kennen.“ , stellt er fest. „I-ch … bin ihnen mal … begegnet.“ , weiche ich aus.
„Zeigst du mir, wo sie langsegeln?“ , bitte ich Rhao. Wolkensturm schaut mich immer noch sehr verwirrt an, doch Rhao schüttelt den Kopf. „Das ist zu gefährlich.“
„Bitte, Rhao.“ , versuche ich verzweifelt, jedoch bleibt der kleine Drache standhaft: „Nein.“

Langsam spaziere ich durch den nächtlichen Wald und lasse mir gemächlich alles durch den Kopf gehen. Rhao hat ganz recht den Stamm für gefährlich zu erachten.
Ich kenne ihn nicht nur. Die Schiffe, die Rhao beschrieben hatte, gehören zu einem feindlichen Stamm. Es kommt zwar immer wieder mal vor, dass Wikinger zwischen einander ab und zu kleinere Kämpfe austragen, aber mit denen und meinem Stamm war es anders. Die Thursen sind grausam. Sture, riesenhafte Wikinger.
Ich habe kein gutes Gefühl dabei, sie hier zu wissen.
Aber noch eine andere Sache geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Etwas das Rhao gesagt hat. Das eine Verwandlung wie diese einen Auslöser braucht. Irgendwas dazu will mir einfach nicht mehr einfallen. Als würde es mir auf der Zunge liegen und ich bräuchte es nur auszusprechen. Aber ich komme schlicht weg nicht darauf.
Ich knurre ungehalten.
Damit schrecke ich eine Eule über mir auf. Mit einem schaurigen Schrei und unhörbaren Flügelschlägen gleitet sie in die Nacht davon.


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