How To Be A Dragon Kap. 1 - 10

How To Be A Dragon Kap. 1 - 10

12.10.2016 21:09

Kurzbeschreibung:
Das Wikingermädchen Svenja wird plötzlich und ohne Vorwarnung aus ihrem vertrauten Leben gerissen. Sie muss ihre Familie, sowie ihre Heimat zurücklassen, um herauszufinden, was bei Thors Hammer mit ihr passiert ist und wie sie es rückgängig machen kann...        
Nun ich hoffe ihr seid neugierig geworden und lest mal rein ;)


Prolog

Erschöpft schleppt er sich weiter in den Wald hinein. Sie dürfen ihn nicht erwischen. Er muss noch tiefer in den dunklen Wald. Am Ende seiner Kräfte kämpft er sich weiter durch das Unterholz. Immer wieder bleiben seine mit Schrammen und Wunden übersäten Flügel an Ästen und Bäumen hängen. Er ignoriert den Schmerz und läuft weiter.
Diese verdammten Menschen! Denkt er sich und zuckt vor Schmerz zusammen, als ein kleiner Ast schmerzhaft in die tiefe Wunde an seiner Seite sticht. Doch trotz der vielen Wunden an seinem ganzen Körper muss er weiter. Einfach weiter, immer tiefer in den Wald. Sie dürfen ihn nicht erwischen.
Diese verdammten Menschen. Was haben sie denn davon Drachen zu jagen? Wenn die Wikinger sie doch endlich mal in Ruhe lassen würden.
Es gibt kein Grund für den ewigen Krieg, den die Menschen gegen die Drachen führen, und wenn es einen gab, dann haben ihn schon längst alle vergessen. Die Wikinger nehmen es einfach so hin. Es ist einfach so, es war schon immer so und es wird auch immer so sein. Pff, von wegen! Närrische Menschen!
Es gab eine Zeit vor den Kämpfen. Wenige Drachen können davon erzählen und noch weniger können sich selbst daran erinnern. Doch warum es zum Krieg kam, weiß niemand mehr. Es ist jetzt auch egal. Es wird sich nicht ändern, nicht in näherer Zukunft.
Wieder zuckt er zusammen, als sein Schwanz gegen einen Stein anstößt und ein tiefer Schnitt erneut anfängt zu bluten.
Völlig erschöpft bleibt er stehen und schaut sich um. Er ist auf einer Lichtung angekommen. Hoffentlich ist er jetzt tief genug im Wald, sodass sie ihm nicht folgen.
Stöhnend lässt er sich auf den Boden sinken. An einen Stein, mit merkwürdigen Rillen darin, die zu einer Art Sonne zusammenlaufen, gelehnt, schaut er zurück. Er hat eine Spur von Blut und abgefallenen schwarzen Schuppen hinterlassen.
Noch immer bluten einige seiner Wunden, nicht wenige von den Schwertern hartnäckiger Menschen. Dickflüssig tropf sein Blut auf den Stein. Er spürt, dass nun bald sein Ende gekommen ist.
Diese verdammten Menschen. Sie sollten mal selbst erfahren wie es ist ständig gejagt und angegriffen zu werden. Wie es ist kaum noch einen ruhigen Platz zu finden, in ständiger Angst von Feinden entdeckt zu werden und kaum noch ruhige Minuten zu haben.
Die Rillen fangen bei seinen Gedanken leicht an, zu Glühen, doch der schwarze Drache bemerkt es nicht, er ist völlig in Gedanken.
Früher war es besser. Er hatte eine Familie gehabt und war glücklich gewesen.
Während er an seine Freunde und Familie denkt, schließt der Nachtschatten die Augen. Mit glücklichen Gedanken schläft er ein.



Viele, viele Jahre später...



Kapitel 1 - Drachenkampf

Der Tödliche Nadder fixiert mich und spreizt die Stacheln an seinem Schwanz kampflustig ab. Er macht eine peitschenartige Bewegung mit dem Schwanz und seine Stacheln fliegen zielgenau auf mich zu. Elegant weiche ich ihnen aus und springe zur Seite, sofort bereit einem weiteren Angriff auszuweichen. Doch der Nadder hat sich schon abgewandt und attackiert jetzt Lasse.
„Heute geht es um eure Schnelligkeit!“, ruft Kjartan, unser Drachenkampftrainer, vom Rand der steinernen Arena. „Ihr müsst schneller sein als der Drache und wendiger, um nicht von seinen Stacheln getroffen zu werden.“
OK, schnell und wendig. Das kriege ich hin. Ich werfe einen kurzen Blick nach rechts, selbstverständlich ohne den Tödlichen Nadder aus den Augen zu lassen, zu meinen Freunden Lasse und Eona. Gerade schleicht sich Eona von hinten an den Drachen an, während der sich ganz auf Lasse konzentriert. Dummes Vieh, denn jetzt bekommt es einen Kampfstock seitlich auf die Nase geschlagen.
„Sehr gut, Eona. Denkt immer daran: An den Nüstern sind die Drachen besonders schmerzempfindlich.“, lobt Kjartan, „und Svenja, steh nicht einfach nur so da rum!“
„Komm schon Svenja, oder macht der große Drache dir etwa Angst.“, neckt Lasse mich spielerisch. „Pass lieber auf, dass der Nadder dich nicht aufspießt.“, rufe ich zurück und
mache den grüngeschuppten Drachen auf mich aufmerksam, um Eona die Chance zu geben sich wieder an ihn ran zu schleichen. Sie gibt dem Drachen wieder einen Schlag auf den Kopf und ist dann wieder so plötzlich aus dem Sichtfeld des Drachen verschwunden, wie sie gekommen ist.
Noch verwirrt von Eonas Schlag bemerkt der Nadder nicht wie ich näher komme und mit meinem Schwert zum Schlag aushole. Im letzten Moment spring er dann doch noch zurück und mein Schlag geht ins Leere. Während ich weiter den Nadder angreife, bemerke ich aus dem Augenwinkel einen Wikinger, der am Rand der Arena aufgetaucht ist.
„So macht für Heute Schluss. Treibt den Drachen wieder in seinen Käfig.“, ruft dieser jetzt. Lasse antwortet: „Geht klar, Häuptling.“ Mit einem kurzen Blick verständigen wir uns und kreisen den Nadder ein. Dieser weicht vor uns zurück, versucht aber noch uns mit seinen Stacheln zu treffen, denen ich gekonnt ausweiche. Schließlich haben wir den Drachen soweit zurück getrieben, dass Kjartan das Tor des Käfigs mithilfe eines Hebels schließen kann.
Ich gehe rüber zu Eona. „Hey, guter Schlag eben.“, sage ich. „Das ging nur, weil du ihn abgelenkt hast.“, wies sie das Lob ab. „Wir sind halt ein gutes Team.“, meint Lasse, der dazu gekommen ist und wir drei klatschen ab.
Gemeinsam spazieren wir aus der Arena. Draußen warten schon Kjartan und unser Häuptling Aslak der Furchtlose.
„Sehr gutes Training, ihr drei!“, ruft Aslak, „Bei solchen Kriegern brauchen wir uns keine Sorgen wegen Drachenangriffen zu machen.“ Kjartan schlägt ihm freundschaftlich auf die Schulter: „ Deine Tochter ist wirklich sehr schnell und sie kann geschickt mit dem Schwert umgehen. Du kannst stolz auf sie sein.“ Genervt verdrehe ich die Augen. „Ich bin nicht die einzige, die gut kämpfen kann.“, sage ich und deute auf meine Freunde. Mein Vater lächelt: „Ich bin stolz auf euch drei, ihr habt große Fortschritte gemacht.“
Lasse und Eona nicken erfreut bei diesem Lob vom Häuptling.
„Also dann bis Morgen, Kjartan.“, verabschieden wir uns und machen uns auf den Weg zurück zum Dorfplatz. „Svenja, ich möchte, dass du heute Abend noch Leevi in der Schmiede hilfst.“, ruft mein Vater mir hinter. Ich wende mich noch kurz um: „Ok, Papa.“, rufe ich, bevor ich laufend zu meinen Freunden aufschließe.


Kapitel 2 – Willkommen auf Fallow

Beim Rückweg haben wir einen guten Ausblick auf unser kleines Dorf, da die Arena etwas höher gelegen ist. Wir leben in einem kleinen Dorf auf der Insel Fallow (Karte). Fallow liegt irgendwo im Nirgendwo und es gibt nur wenige Inseln in der Nähe, die aber größtenteils von Drachen bevölkert werden und ansonsten unbewohnt sind.
Unser Dorf befindet sich an der südwestlichen Küste von Fallow inmitten von schroffen und zerklüfteten Felsen und Bergen. Durch diese wird unser Dorf ein wenig vor schlimmen Stürmen geschützt.
Weiter im Westen befinden sich viele kleine Seen, perfekt zum Baden und es gibt sogar einen kleinen Wasserfall. Zwischen den kleinen Seen wächst ein lichter Wald mit viel Unterholz und großen Lichtungen, den wir den Sonnenwald nennen.
Auch sonst ist Fallow eine sehr bewaldete Insel. Von unserem Dorf aus, zwischen den Felsen hindurch, erstreckt sich bis hin zum nördlichen Strand der Dunkelwald, ein dichter Laubwald. Vor allem in der Mitte der Insel wird dieser fast undurchdringlich. Deshalb ist es nicht leicht zu dem Nordstrand an der gegenüberliegenden Küste der Insel zu gelangen. Der Nordstrand ist so ziemlich der einzige Sandstrand von Fallow. Meistens endet die Insel eher in Klippen oder groben Felsen.
So in Gedanken bemerke ich kaum, wie Eona mich etwas fragte. Erst als sie mich anstößt reagiere ich: „Mh? Was?“ – „Ich hab dich gerade gefragt, ob du noch mit zum Saphirsee kommst?“ wiederholt meine Freundin ihre Frage. „Ja, na klar“ antworte ich.
Wir machen aus, uns gleich wieder am Dorfplatz zu treffen, nachdem wir unsere Sachen geholt haben.
Zufrieden schlage ich den Weg zu der Häuptlingshütte ein, in der ich mit meinem Vater lebe. Schnell hole ich meine Sachen und laufe zum Dorfplatz zurück.
Unser Dorf ist vielleicht klein, aber wir können uns gut gegen die Drachen behaupten. Am häufigsten greifen diese Ungeheuer unsere Fischerboote an und klauen den Fisch.
Aber auch unser Dorf ist vor ihnen nicht sicher. Immer wieder haben wir mit ganzen Drachengruppen zu tun, die es auf die Vorräte abgesehen haben.
Inzwischen bin ich am Dorfplatz angekommen und warte gemeinsam mit Lasse auf Eona.
Zu dritt gehen wir dann schließlich durch den Wald in Richtung Osten. Dort liegt der Saphirsee. Ein schöner See mit wunderbar klarem Wasser, der von einem Wasserfall gespeist wird.
Ich gehe gerne dorthin um einfach mal zu entspannen und dem Druck zu entkommen, den man als zukünftige Stammesführerin hat. Alle erwarten von einem, sehr gut in allem zu sein und manchmal brauche ich einfach eine Auszeit davon. Und dafür ist der Saphirsee perfekt.

Quatschend gehen wir durch den dichten Wald, auf dem Weg zum See albern wir herum.
Als ich dann durch die Bäume am Rand der Lichtung trete, auf welcher der Saphirsee liegt, bin ich mal wieder von der Schönheit dieses Ortes verzaubert. Vor mir liegt eine saftig grüne Lichtung mit vielen Blumen. Ein Paar Bäume stehen dort und spenden Schatten.
Dahinter rauscht der Wasserfall von einem schroffen Felsen in den See, der in der Sonne schimmert wie ein geschliffener Saphir.
Hinter mir treten meine Freunde in die Sonne auf der Lichtung und die Luft wird von unseren Stimmen erfüllt. Lachend rennen wir auf den See zu und springen in das kühle Nass. Kaum bin ich wieder aufgetaucht, ruft Lasse: „Hey Svenja!“ und spritzt mir eine Ladung Wasser ins Gesicht. Bevor ich noch etwas sagen kann, bin ich schon in eine wilde Wasserschlacht verwickelt.

Später liegen ich und Eona auf den flachen Felsen am Ufer und lassen uns von der Sonne trocknen. Lasse sitzt auf einem Stein neben uns und lässt die Beine baumeln.
Nach einer Weile werden die Strahlen der Sonne spürbar kraftloser und ich schaue verträumt in den Himmel. Die Sonne senkt sich schon auf die Baumkronen und die Wolken werden in den verschiedensten Rottönen angestrahlt. Nicht mehr lange und die Sonne versinkt hinter dem Horizont und es wird dunkel.
Plötzlich schrecke ich hoch und springe rasch von dem Felsen. Ich hatte die Bitte meines Vaters vergessen! „Was ist denn, Svenja?“ fragt Eona verwirrt. Beim Rennen Richtung Wald rufe ich noch über meine Schulter: „Ich muss zur Schmiede. Hab ich vergessen.“ Und mit diesen Worten tauche ich in den Schatten des Waldes ein und schlage den schnellsten Weg zum Dorf ein. Währenddessen wird es Zusehens dunkler.
Völlig außer Atem komme ich schließlich an der Schmiede an.


Kapitel 3 – Drachenangriff

„Du bist spät“, merkt unser Schied an, ohne auf zu schauen. „T’schuldigung, ich habe ein wenig die Zeit vergessen.“, entschuldige ich mich bei Leevi und greife mir einen Eimer, um ihn mit kaltem Wasser zu befüllen. Ich stelle ihn neben den Amboss, an dem Leevi gerade beschäftigt ist. Einen Moment schaue ich ihm noch zu, wie er ein Stück Metall, welches einmal ein Schwert werden soll, mit dem Hammer bearbeitet, bevor ich mich an meine Arbeit mache.
Nach einer ganzen Weile – draußen ist es mittlerweile schon stockdunkel geworden – kommt Leevi zu mir. „Ich glaube für heute ist die Arbeit erledigt. Danke für deine Hilfe.“
„Gerne doch“, antworte ich ihm, während ich noch schnell ein paar Sachen wegräume, und verschwinde dann in die Dunkelheit.
Langsam mache ich mich auf den Weg nach Hause. So spät sind kaum noch Wikinger unterwegs und so gelange ich, ohne noch jemanden anzutreffen, zu unserer Hütte.
Leise öffne ich die Tür. Mein Vater sitzt in Gedanken versunken und mit dem Rücken zur Tür am Tisch, vor ihm eine Landkarte.
Ich entscheide mich, ihn nicht noch zu stören und husche schnell die Treppe zum oberen Teil unsere Hütte hoch, wo die beiden Schlafzimmer sind.
Erschöpf lege ich mich auf mein Bett und bin schon bald eingeschlafen.

Am nächsten Morgen werde ich von warmen Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster scheinen, geweckt. Gähnend sehe ich in den Himmel; die Sonne ist schon vor einer ganzen Weile aufgegangen.
Vom Dorfplatz her höre ich aufgeregte Stimmen. Vielleicht sind die Fischerboote wieder da, schießt es mir durch den Kopf. Schnell schnappe ich mir meine Sachen.
Neugierig trete ich durch unsere Haustür und schaue auf den großen Platz in der Mitte des Dorfes. Ein paar Wikinger sind noch da, aber die meisten scheinen zum Hafen gegangen zu sein. Eilig mache ich mich auch auf den Weg zu den Stegen. Entweder hat ein Händler bei uns angelegt oder es sind wirklich die Fischerboote. Mein Vater war jedenfalls schon weg, als ich schnell gefrühstückt habe. Am Hafen angekommen, bestätigt sich meine Vermutung: Unsere Fischerboote sind wieder da, an Bord jede Menge Fisch – und Tyr.
Jedes Mal wenn die Fischerboote auslaufen, was ungefähr alle zwei Monate geschieht, kommt einer von uns Teenagern mit und hilft den Erwachsenen. Nicht nur beim Fischfang, auch falls Drachen die Boote angreifen und die gefangenen Fisch stehlen wollen. Und dieses Mal ist Tyr mitgefahren.
Eona steht schon an einem Steg und winkt mir zu. Ich gehe auf sie zu und beobachte wie das erste Boot anlegt. Lasse ist auch schon da und hilft mit die Fischerboote zu vertäuen.
Plötzlich ertönt ein durchdringender Schrei. Erschrocken drehe ich mich um. Eine Schar Drachen kreisen am Himmel!
„Drachenangriff!“ ertönt der Warnruf eines Wikingers und keine Sekunde später stürzt der erste Drache auf unsere Schiffe zu. Ich ziehe mein Schwert und mache mich Kampfbereit. Die Drachen sind dieses Mal clever vorgegangen. Sie haben gewartet, bis wir beschäftigt sind mit dem Abladen der Schiffe, um uns in diesem Moment anzugreifen.
Mit meinem Schwert wehre ich die Klauen eines Nadders ab, bevor er sich ein paar Fische neben mir schnappt. Wütend muss ich mit ansehen, wie die Bestie mit ihrer Beute entkommt.
Immer mehr Drachen stürzen auf unseren Fang zu und schnappen sich die Fische.
Wir geben unser Bestes, doch wir können unmöglich alle von den Schiffen abhalten.
Glücklicherweise kommen nun auch die restlichen Wikinger aus dem Dorf angerannt und der Kampf wird wieder etwas ausgeglichener.
Auf einmal sehe ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln, die meine Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Ich drehe mich um, in Erwartung einem angreifenden Drachen gegenüber zu stehen, doch ich sehe rein gar nichts. Verwirrt blicke ich in die Richtung, aus der ich die Bewegung gesehen habe. Da ist nichts. Aber ich hab da doch etwas gesehen.
„Vorsicht, Svenja!“ höre ich Eona schreien und gleichzeitig nehme ich einen Luftzug von großen Flügeln wahr. Ich drehe mich schnell um, doch das Geräusch schlagender Flügel ist bereits so nah, dass ich nicht mehr reagieren kann.
Plötzlich werde ich von einem Körper umgeworfen. Ich lande hart auf dem Steg und schlage mit dem Kopf auf. Dann wird alles schwarz.

Was ist passiert? Wieso tut mein Kopf so weh? Diese und noch mehr Fragen schwirren mir durch den Kopf, nachdem sich der Nebel in meinem Bewusstsein etwas gelichtet hat. Ich habe meine Augen immer noch geschlossen, doch ich höre immer noch den Kampflärm, allerdings wie aus weiter Ferne. Dann sind da noch Stimmen. Sie sind näher, aber ich kann sie gerade nicht wirklich zuordnen. Langsam kehren auch die Erinnerungen zurück. An den Drachen, der mich angriff und der Körper, der mich umgestoßen hatte.
Blinzelnd öffne ich meine Augen. Das erste was ich sehe, ist der graue Himmel über mir. Dann taucht von der Seite ein Kopf auf. Kjartan! „Sie ist wach!.“, ruft er jemandem außerhalb meines Sichtfeldes zu. Stöhnend fasse ich mir an den Kopf. „Was ist passiert?“ Mein Kampflehrer hilft mir, mich aufzusetzen. „Ein Drache griff dich von hinten an. Eona hat dich gewarnt, aber du konntest nicht mehr reagieren. Sie hat dich zu Boden geworfen, bevor der Drache dich erreicht hatte.“ Eona! „Wo ist sie?“ Hektisch sehe ich mich auf dem Steg um. Einige Wikinger stehen herum, andere sind auf den Schiffen, in der Ferne kann ich noch die abziehenden Drachen erkennen. Der Kampf ist zu Ende. Sie sind mit dem Großteil unseres Fangs entkommen, wie ich an den wenigen Körben bemerke, die noch übrig sind.
„Sie ist beim Heiler.“ Ich schaue Kjartan entsetzt an. Der Drache hatte sie erwischt. Eona hat sich über mich geworfen, nur deshalb ist sie nun verletzt. Sonst hätte es mich getroffen. Weil ich unaufmerksam war. Mitten im Kampf mit den Drachen, habe ich mich ablenken lassen!
Mit Kjartans Hilfe stehe ich auf. Noch bin ich etwas wackelig auf den Beinen, doch ich mache mich auf den Weg zurück zum Dorfplatz, an dem auch die Hüte des Heilers liegt.


Kapitel 4 – Meine Schuld

Vorsichtig drücke ich die Tür zur Hütte des Heilers auf. Im Inneren ist es dämmrig und es riecht stark nach irgendwelchen Kräutern.
Im hinteren Teil der Hütte steht ein Bett, auf dem eine Person sitzt. Daneben steht Whetu, der Heiler unseres Dorfes.
„Komm doch rein.“, ruft Eona mir zu, die bemerkt hat, dass ich an der Tür zögerlich stehen geblieben bin. „Wie geht´s dir?“ frage ich beim Hineingehen. Ich grüße Whetu mit einem Nicken und setzte mich zu Eona auf das Bett. Schuldgefühle wallen in mir auf, als mein Blick auf ihren komplett bandagierten Oberschenkel fällt. Meine Schuld...
„Es sind nur ein paar Kratzer“, versucht Eona mich zu beruhigen, die meinen Blick bemerkt hat. „Ziemlich tiefe Kratzer, wie du sie nennst.“, widerspricht Whetu, „Man könnte sie durchaus auch als Fleischwunden bezeichnen.“ Entsetzt schaue ich meine Freundin an. „Soo schlimm ist es nun auch wieder nicht.“, widerspricht sie. „Oh doch und deshalb bleibst du für die nächsten Tage hier. Die Wunden an deinem Bein und die Kratzer auf deinem Rücken sollen doch gut verheilen.“, verordnet unser Heiler. „Kein Kampftraining für die nächsten Tage.“ „Aber...“ „Kein Aber!“, sagt er bestimmt und verlässt mit diesen Worten den Raum.
„Es ist gar nicht so schlimm, wie es sich jetzt vielleicht anhört.“, versucht Eona mich nochmals zu beruhigen. Ohne Erfolg. Ich bin keineswegs beruhigt.
„Es tut mir so leid, ich hätte mich nicht ablenken lassen dürfen.“
„Svenja! Mir geht es gut. Mach dir keinen Kopf wegen mir. Außerdem hab ich dich ja umgeworfen.“ Und bist dann wegen mir verletzt worden, denke ich, doch sage es nicht laut.

Nachdem wir noch eine Weile geredet haben, verabschiede ich mich von ihr. Auf dem Dorfplatz, kommen mir Lasse und Tyr entgegen. Ich zwinge mich dazu, ein wenig zu lächeln. Ich freue mich, dass Tyr wieder da ist, aber ich bin gerade einfach nicht in der Stimmung zu lächeln.
„Hey, wie geht es dir?“ begrüßt mich Lasse. „Alles Okay. Eona hat es schlimmer erwischt.“, antworte ich betreten. „Es ist nicht deine Schuld, Svenja.“ Achja?
„Was macht ihr denn auch für Sachen, während ich weg bin.“, sagt Tyr gespielt vorwurfsvoll. Mein Lächeln wird ein bisschen breiter und etwas echter. „Schön, dass du wieder da bist.“ Schnell umarme ich ihn.
Die beiden gehen weiter in Richtung der Hütte, aus der ich eben erst gekommen bin. Ich gehe in die entgegengesetzte Richtung. Ich brauche jetzt erst Mal ein bisschen Zeit für mich, zum Nachzudenken.
Ich schlage den Weg in Richtung Wald ein. Vielleicht hat Lasse Recht. Eona wollte mir helfen. Das Gleiche würde ich auch jederzeit für sie tun.
Und trotzdem hätte ich etwas machen müssen. Nicht nur da rum stehen. Ich hätte den Drachen bemerken müssen.
Als ich die letzten Häuser des Dorfes hinter mir gelassen habe, wird mein Schritt schneller.
Ich achte nicht auf den immer dichter werdenden Wald oder die Richtung in die ich gehe. Ich will einfach nur meinen Kopf frei bekommen. Ich versuche an etwas anderes zu denken, als an Eona. Doch das ist gar nicht so leicht. Ständig driften meine Gedanken wieder zu dem, was heute morgen passiert ist, ab. Egal an was ich denke, irgendwie komme ich immer wieder auf den einen Gedanken zurück.
Ich werde schneller, bis ich anfange zu laufen. Doch meine Gedanken drehen sich weiterhin im Kreis.
Also laufe ich weiter, bis ich irgendwann mitten im Wald stehen bleibe.
Aber vor meinen kreisenden Gedanken kann ich nicht wegrennen. Ich hätte mich auf keinen Fall ablenken lassen dürfen. Nicht bei einem Angriff der Drachen. Als zukünftiges Stammesoberhaupt hätte ich konzentrierter sein müssen. Wütend ziehe ich mein Schwert und schlage dem erstbesten Baum einen Ast ab. Das tut so gut, dass gleich der nächste Baum, ein paar Schritte weiter, dran glauben muss.


Kapitel 5 - Verlaufen

Ich hole noch einmal mit dem Schwert aus und lege alle meine Wut in den Schlag. Dieser hackt dem Baum vor mir einen dicken Ast ab. Langsam lasse ich mein Schwert sinken und atme einmal tief durch. Die Wut ist verraucht und macht wieder Selbstvorwürfen Platz. Wegen mir ist Eona verletzt. Und warum? Weil ich mich von etwas ablenken lasse, das nicht existiert. Ich hätte den Drachen schon früher bemerken müssen, früher reagieren müssen.
Ich hebe den Kopf und schaue mich um, in Erwartung lichten Wald um mich herum zu sehen. Aber der Wald um mich herum besteht aus hohen Bäumen, die eng aneinander stehen. Die Baumkronen verdecken den Himmel komplett und lassen nicht einmal ein bisschen Sonne den Waldboden erreichen. Zwischen den Bäumen ist es dämmrig und es wirkt schon fast bedrohlich. Verwirrt schaue ich mich um. Hier bin ich noch nie gewesen! Ich muss mich weiter vom Dorf entfernt haben, als ich dachte. Ich habe auch nicht auf die Richtung geachtet, in die ich gelaufen bin. Innerlich schlage ich mir gegen die Stirn. So viel zum konzentrierter sein...
Ich drehe mich einmal um mich selbst, um mir ein Bild von meiner Umgebung zu machen. Ein Fehler, wie ich schnell merke. Nun weiß ich nur noch ungefähr von wo ich gekommen bin.
Ich habe mich verlaufen.
Ok, denk jetzt nach, bevor du noch etwas Dummes tust, ermahne ich mich. Aufmerksam schaue ich mich noch mal um. Der Wald kommt mir immer noch nicht bekannt vor. Vermutlich bin ich irgendwo in der Mitte der Insel, wo der Wald am dichtesten ist. Leider verdecken die Baumkronen den Himmel komplett, sodass ich kein Stück davon sehen kann, geschweige denn die Sonne, um mich zu orientieren.
Ich entscheide mich in die Richtung zu gehen, aus der ich glaube gekommen zu sein. Schlimmsten Falls gehe ich in die falsche Richtung und lande irgendwo beim Nordstrand, doch von dort aus kenne ich mich dann wieder aus. Es dauert dann nur ein bisschen länger. Im besten Fall laufe ich nahezu direkt nach Hause.

Eine Weile später, ich laufe immer noch strikt gerade aus, hoffentlich ungefähr in die richtige Richtung, komme ich an einer kleinen Lichtung an. Ich kann nur einen Ausschnitt des Himmels erkennen, aber keine Sonne. Also muss es schon nach Mittag sein, schließe ich. Da mir der Blick in den Himmel nicht weiterhilft, schaue ich mich auf der Lichtung um. Vielleicht kommt mir etwas bekannt vor. Aber da ist nichts, an das ich mich erinnere. Am Rande der Lichtung entdecke ich einen merkwürdigen Stein, der meine Aufmerksamkeit erregt. Nicht etwa wegen seiner Größe, Form oder Färbung. In den Stein ist etwas eingeritzt. Gewellte Rillen, die im Kreis angeordnet sind und in der Mitte zusammenlaufen, wie eine Darstellung der Sonne. Fasziniert gehe ich auf den Stein zu, um die «Sonne» näher zu betrachten. Sanft fahre ich eine Rille mit meinem Finger nach.
Plötzlich glühen die Rillen in einem blauen Licht auf. Erschrocken ziehe ich meine Hand weg und weiche einen Schritt zurück.
Irritiert schaue ich in den Himmel. Vielleicht haben mir meine Augen einen Streich gespielt und es war nur ein Sonnenstrahl, der auf den Stein schien. Doch an dem Stück Himmel, der von hier aus zu sehen ist, sehe ich keine Strahlen der Sonne. Mein Blick fällt zurück auf den Stein. Er liegt genauso da, wie vorher. Kein Glühen.
Ich muss es mir eingebildet haben, Steine glühen nicht einfach von alleine auf. Steine glühen nicht. Ich habe es mir eingebildet … oder?

Ich bin schon recht lange gelaufen, als sich der Wald endlich lichtet. Ich kann schon einzelne Flecken des Himmels durch das Blätterdach sehen, und diese werden auch immer größer. Bald müsste ich an den Waldrand kommen. Dann kann ich mich auch wieder orientieren, denn die Sonne sehe ich leider immer noch nicht. So habe ich keine andere Wahl als erst mal weiter zu gehen, bis der Wald endet.
Bald ist es dann auch so weit. Die Bäume stehen jetzt nur noch vereinzelt und der Großteil des Himmels ist zu sehen. Die Sonne sehe ich zwar immer noch nicht, aber ich weiß wo sie ist. Sie ist auf der anderen Seite der Insel und sehr wahrscheinlich bereits dabei im Meer zu versinken, denn der Himmel ist vor mir bereits dunkel und über mir sind gerade noch ein paar Streifen Rot und Orange zu sehen. Jetzt weiß ich auch wo ich bin. Auf der östlichen Seite der Insel in der Nähe eines kleinen Sees, den ich gut kenne. Von hier aus dauert es nur noch ungefähr zwei Stunden, bis ich beim Dorf bin.
Ich schaue noch mal in den merklich dunkler werdenden Himmel. In ein paar Minuten wird es richtig Dunkel sein. Ich sollte lieber hier die Nacht verbringen und dann morgen früh den Rest des Weges zurück laufen. Das wäre vermutlich besser, als wenn ich jetzt im Dunkeln, erschöpft wie ich bin, zurück gehe.
Also schaue ich mich nach einem geeigneten Platz zum Schlafen um. Dort zwischen den Bäumen scheint es gut zu sein. Eine geschützte Stelle mit viel Gras und weichem Moos.
Also schnalle ich mein Schwert vom Rücken und lege es auf dem Gras ab. Ich lasse mich daneben auf den Boden sinken und lege mich auf den Rücken. Erst jetzt merke ich richtig, wie erschöpft ich bin. Ich blicke hoch in den Himmel, aus dem gerade die letzten Streifen Rot und Orange verschwinden. Dann fallen mir die Augen zu.


Kapitel 6 – Verwandelt

Sanft werde ich von dem leisen Gezwitscher der Vögel geweckt. Blinzelnd öffne ich meine Augen und kneife sie geblendet zusammen. Ein Sonnenstrahl von der gerade aufgehenden Sonne hat sich einen Weg durch das Blätterdach über mir gebahnt. Mein Körper fühlt sich steif und ungelenk an, im Halbschlaf schiebe ich es auf den Umstand, dass ich die Nacht auf dem Boden geschlafen habe. Ich reibe mir mit einer Hand über die Augen und strecke mich, um wach zu werden.
Plötzlich halte ich inne. Meine Hand hat sich merkwürdig glatt angefühlt. Ich reiße meine Augen auf und starre auf meine Hände. Oder auf die Stelle, wo meine Hände sein sollten. Doch anstatt auf zwei Hände, starre ich auf zwei schwarzgeschuppte Pfoten!
Erschrocken versuche ich mich aufzusetzen, doch ich falle zurück nach vorne. Was…? Ein Blick nach hinten beantwortet meine Frage. Mein kompletter Körper ist mit mattschwarzen Schuppen bedeckt, mein Blick fällt auf einen Schwanz hinter mir und zu meinem Entsetzen entdecke ich auf meinem Rücken zwei große Flügel.
Mein Herz rast und mein Atem geht unkontrolliert schnell. Panisch versuche ich einen klaren Gedanken zu fassen, eine Erklärung zu finden. Es muss ein Traum sein. Das hier kann nicht Wirklichkeit sein!
Ich hebe einen Arm, um mich zu kneifen, doch mit Pfoten funktioniert es nicht. In meiner Verzweiflung fällt mir nichts Besseres ein, als mir in den Arm zu beißen. Es tut nicht so sehr weh, wie es sollte und füllt sich erschreckend real an.
Meine Gedanken rasen, doch ein Gedanke sticht klar und deutlich hervor und ich würde ihn am liebsten aus meinem Kopf verbannen: dies ist kein Traum!
Ich blicke noch einmal zurück. Probehalber hebe ich die Flügel. Ungläubig beobachte ich, wie die Flügel reagieren und ich sie wieder senke. Ich richte meinen Blick wieder nach vorne und er fällt auf einen Pfad zwischen den Bäumen. Dieser führt zu dem kleinen See hier in der Nähe und weil ich keine andere Idee habe, beschließe ich dort hin zu gehen.
Ich mache einen Schritt nach vorne und… lande prompt auf der Nase.
Ärgerlich richte ich mich wieder auf und mit dem Gedanken mich beruhigen zu müssen, atme ich erneut tief durch.
Vorsichtig setze ich nun eine Hand… Pfote vor die andere. So komme ich zwar nur langsam voran, aber ich falle immerhin nicht mehr auf die Nase… naja wohl eher Schnauze.
Nach ein paar Metern bekomme ich ein wenig Übung darin, mich auf diese Weise fortzubewegen und komme etwas schneller voran. Allerdings stoße ich mit den Flügeln auf diesem engen Pfad ständig gegen irgendwelche Büsche oder Bäume. Ich schnaube ärgerlich und bleibe stehen, um die Flügel so eng wie möglich auf meinem Rücken zusammen zu falten.
Kurze Zeit später erreiche ich die Lichtung mit dem See. Kurz bevor ich mich in dem Wasser sehen kann, bleibe ich zögerlich stehen.
Wenn ich es jetzt als Spiegelbild sehe, wird es real. Dann kann ich mich nicht mehr an die Hoffnung klammern, dies alles könnte nur ein Traum sein. Obwohl ich diesen Gedanken, schon längst verworfen habe, will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Aber wenn ich jetzt ins Wasser schaue, muss ich akzeptieren, dass es Wirklichkeit ist. Wie auch immer es das werden konnte.
Ich atme noch einmal tief durch und trete an das Ufer des kleinen Sees.
Nur sanfte Wellen verzerren ein wenig mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, als ich den Blick senke. Mein Spiegelbild zeigt einen Drachenkopf, anstatt meinem vertrauten Kopf mit meinen hellbraunen Haaren, die mir in Wellen über die Schultern fallen sollten. Und es ist nicht nur das Spiegelbild irgendeines Drachens. Wie ich befürchtet habe, stecke ich in der Gestalt eines Nachtschattens!
Um nicht schon wieder durchzudrehen, konzentriere ich mich die nächsten Minuten erst mal nur auf meine Atmung. Einatmen und Ausatmen. Ein und Aus. Bis ich mich einigermaßen beruhigt habe.
Doch auch beruhigt, fühle ich mich, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Unruhig laufe ich am Ufer hin und her. Langsam wird mir das Ausmaß dieser Verwandlung bewusst. Ich bin nun in der Gestalt des meist gefürchtetsten und seltensten Drachen, der Wikingern bekannt ist. Sollte jemand aus meinem Dorf auch nur die Schuppe eines Nachtschattens auf dieser Insel finden, würden sie auf mich Jagd machen, wie auf jeden anderen Drachen auch. Nur dass ich ein Nachtschatten bin!
Frustriert brülle ich auf und schlage mit einer Pfote in den Sand. Meine neuen Krallen hinterlassen vier Furchen am Ufer.
Ich darf mich also unter keinen Umständen entdecken lassen. Ich muss Zeit gewinnen, um heraus zu finden, wie ich es wieder rückgängig machen kann.


Kapitel 7 – Entdeckungen

Nachdenklich gehe ich zurück ans Wasser. Als mein Schatten auf die Oberfläche des Wassers fällt, huscht ein Fisch in eine tiefere Stelle des Sees, in Sicherheit vor mir. Für menschliche Augen hätte dies nicht mehr als ein Schatten sein müssen, doch ich habe den Fisch ganz deutlich gesehen. Erst als nun mein Magen knurrt, bemerke ich, wie hungrig ich eigentlich bin. Zu irgendwas muss der Körper, in dem ich stecke, ja gut sein, überlege ich mir, und wenn nicht zum Fische fangen, zu was dann?
Vorsichtig gehe ich am Ufer auf die Lauer und fahre mir mit meiner Zunge über die Lippen. Da stutze ich. Mit der Zunge habe ich nur Zahnfleisch gespürt, keine Zähen!
Irritiert betrachte ich mein Spiegelbild im Wasser und wieder blickt mir der schwarze Kopf eines Nachtschattens mit eisblauen Augen entgegen. Ich ignoriere wie ungewohnt es ist, mich so zu sehen und öffne mein Maul. Ich habe wirklich keine Zähne!
Da sind Nachtschatten die gefürchtetsten Drachen und haben noch nicht einmal Zähne!? Wie essen diese Viecher denn überhaupt? Wie soll ich etwas essen!?
Ein genervtes Knurren entfährt mir. Dieser verdammte Drachenkörper!
Plötzlich stoße ich mit meiner Zunge doch gegen Zähne und überrascht betrachte ich mich noch einmal im Wasser. Spitze, weiße Zahne blitzen mir entgegen und verblüfft beobachte ich, wie ich die Zähne wieder einziehe.

Nachdem ich unter ein paar Anfangsschwierigkeiten drei Fische aus dem See gefangen und verspeist habe, mache ich mich auf den Weg zurück zu dem Platz, wo ich die Nacht verbracht habe. Trotzdem ich nun fürs erste in diesem Körper feststecke, möchte ich mein Schwert nicht zurück lassen. Mal davon abgesehen, dass niemand eine Spur zu mir finden sollte, bedeutet mir mein Schwert einfach zu viel, um es einfach liegen zu lassen.
Der Weg zurück ging nun, mit ein wenig Übung, sehr viel schneller und schon nach ein paar Minuten bin ich fast an der Stelle angekommen. Doch plötzlich höre ich Stimmen. Dass ich sie so früh bemerkt habe, verdanke ich sicherlich dem Drachengehör, dennoch hätte ich jetzt lieber meine vertrauten menschlichen Ohren wieder.
Die Stimmen gehören Lasse und Tyr und sie kommen in meine Richtung, wie ich erschreckt bemerke. Offenbar suchen sie mich. Möglichst leise verstecke ich mich hinter einigen dichten Büschen am Rand des Pfades.
„Warum sollte sie zum See gehen, ohne ihre Sachen mitzunehmen?“, fragt Lasse gerade, als sie in mein Blickfeld treten. Demonstrativ hebt er mein Schwert und lässt wieder es sinken. „Vielleicht ist sie nur kurz zum See gegangen, um sich zu waschen. Das Schwert wäre schon nicht weggelaufen.“, widerspricht Tyr, doch Lasse schaut ihn nur skeptisch an.
Als die beiden mir näher kommen, ducke ich mich noch tiefer auf den Boden. Sie dürfen mich auf keinen Fall entdecken. So gerne ich auch gerade mit ihnen spreche würde, bezweifle ich, dass sie mich verstehen würden. Und selbst wenn, würden sie mir vermutlich keine Zeit für Erklärungen lassen. Außer einer weißen Stelle an meiner Schulter, die meinem halbmondförmigen Leberfleck gleicht, den ich an demselben Ort hatte, ähnelt nichts mehr dem Mädchen, das ich gestern noch war. Sie würden mich angreifen, bevor ich auch nur den Mund aufmachen könnte.
Also trete ich lieber den Rückzug an. Langsam, einen Schritt nach dem anderen, krieche ich Rückwärts von meinen Freunden weg. Leider hatte ich die Rechnung ohne meinen neuen Schwanz gemacht: Ohne Vorwarnung schlägt er in einen kleinen, trockenen Busch hinter mir. Bei dem unüberhörbar lauten Rascheln halte ich entsetzt inne.
Auch Lasse und Tyr bleiben ruckartig stehen und drehen sich in meine Richtung. Noch haben sie mich nicht entdeckt, aber so oder so werden sie mich sehen. Lasse hebt mein Schwert, bereit sich zu verteidigen und kommt langsam auf den Busch zu, hinter dem ich mich verstecke. Tyr geht achtsam in die Knie, ohne den Busch aus den Augen zu lassen und greift sich einen armdicken Stock zu seinen Füßen. Auch er nähert sich nun dem Gestrüpp. Durch einen kurzen Augenkontakt verständigen sie sich. Mir bleibt keine andere Wahl. Kurz bevor sie um den Busch herum stürmen, springe ich darüber hinweg und lande schräg hinter den beiden. Erschrocken drehen sie sich um und richten ihre Waffen auf mich.
Ich hätte nie gedacht, dass wir je in so eine Situation geraten würden, in der sie mich wahrscheinlich ernsthaft angreifen wollen. Aber ich habe auch nie daran gedacht, dass so etwas mit mir passieren würde, also … Tja. Ich kann es ihnen ja auch nicht verübeln. An ihrer Stelle hätte ich dasselbe getan.
Für wenige Sekunden sprachlos starren mich Tyr und Lasse an, ohne sich zu rühren. Ich allerdings, habe nicht vor zu warten, bis die beiden mich wirklich angreifen und schaue sie nur kurz wehmütig über meine Schulter hinweg an, bevor ich Richtung Westen davon laufe. Wieder in den Dunkelwald hinein.


Kapitel 8 – Wer fliegen will...

Nach einiger Zeit unterbreche ich meine Flucht und bleibe keuchend stehen. Sie werden nach mir suchen. Jeder aus dem Dorf wird sich im Wald auf die Suche nach einem Nachtschatten machen; auf die Suche nach mir! Ich könnte mich verstecken. Ich kenne viele, gut verborgene Platze auf dieser Insel. Doch auch der bestversteckte Ort wird irgendwann gefunden, man muss nur lange genug suchen. Bei jeder anderen Drachenart, würde man irgendwann aufhören, die Insel zu durchkämmen. Aber bei einem Nachtschatten werden sie so lange weitersuchen, bis sie mich gefunden haben oder sicher ist, dass ich nicht mehr auf Fallow bin.
Doch genau das ist das Problem: ich kann hier nicht weg. Ich habe vielleicht Flügel, aber keine Ahnung wie ich sie benutze. Ich kann nicht fliegen! Und anders komme ich nicht von Fallow runter. Sie werden mich finden.
Verzweifelt laufe ich nach dieser kurzen Pause weiter und schlage einen Weg in Richtung Odin Klippen ein. Ich habe teilweise einige Mühe durch die dicht beieinander stehenden Bäume zu gelangen, doch das wird auch den Dorfbewohnern Schwierigkeiten bereiten.
Ich merke deutlich, wie mir das Laufen mit vier Beinen immer leichter fällt. Wenn ich das gelernt habe, überlege ich mir, könnte ich doch vielleicht auch das Fliegen lernen.
Ich schaue mich kurz um, zur Orientierung und laufe dann weiter. In Gedanken rufe ich mir Bilder von fliegenden Drachen ins Gedächtnis. Ich bilde mir zwar nicht ein, dass fliegen so leicht zu erlernen ist, wie mit vier Beinen zu laufen, doch ich hege die Hoffnung es schaffen zu können.
Ich bin an einer kleinen Lichtung angekommen, die in der Nähe der Westküste etwas nördlich der Adlerfelsen, sein müsste. Ich höre schon die Wellen an die steilen Klippen schlagen und merke überrascht, dass ich sogar bereits das Meerwasser riechen kann. Diese Lichtung ist von einigen Büschen umgeben und meiner Meinung nach ausreichend versteckt. Dann hätte ich vielleicht noch genug Zeit, um fliegen zu lernen und von der Insel zu fliehen. Bei dem Gedanken wird mein Herz schwer, aber ich habe keine Wahl, ich muss hier erst einmal verschwinden.
Ich drehe meinen Kopf so, dass ich meine neuen Flügel betrachten kann. Die dünne Haut zwischen den filigranen Fingerknochen ist nicht mit Schuppen bedeckt und hat eine samtschwarze Färbung. Man könnte sie beinahe als schön bezeichnen, schießt mir durch den Kopf. Schnell streiche ich diesen Gedanken. Sie sind nicht schön. Ich bin ein Drache: das ist schrecklich!
Versuchsweise breite ich nun die Flügel aus. Die Flügelmembran wirkt zwar zart, aber wie ich nun bemerke, ist sie sogar recht belastungsfähig. Aus Neugier fange ich leicht an mit den Flügeln zu schlagen. Schon bei den schwachen Schlägen spüre ich einen deutlichen Luftzug und Staub wird vom Boden aufgewirbelt.
Ermutigt schlage ich etwas stärker mit ihnen und merke wie ich mit den Vorderbeinen leicht vom Boden abhebe.
Schnell lerne ich, dass ich nicht einfach stumpf meine Flügel wieder hoch schlagen darf, sonst werde ich von der gleichen Kraft, die mich hochdrückt auch wieder nach unten gedrückt. Also probiere ich ein bisschen rum, bis ich die beste Technik gefunden habe: Die Flügel ausgebreitet nach unter schlagen und sie danach ein wenig anwinkeln, bevor ich sie wieder hebe, um die Bewegung zu wiederholen.
Langsam und bedächtig führe ich diesen Bewegungsablauf immer wieder durch. Dabei muss ich an meine ersten Schwertkampfstunden denken. Kjartan hat mich die gleichen Übungen immer und immer wieder durchführen lassen. Ganz langsam, unzählige Male. Damals wurde ich schnell ungeduldig, ich habe ihn ständig gefragt, wann ich mal andere Übungen machen kann, und immer war die Antwort, diese Bewegungsabläufe müssten mir ins Blut übergehen. Ich verstand erst, was er meinte und wozu das Ganze gut war, als er mich unerwartet mit einem Übungsschwert angriff. Atomtisch werte ich den Angriff mit der einstudierten Bewegung ab.
Es war zwar ermüdend, aber es zahlte sich aus.
Nach einer Weile bewege ich meine Flügel schneller, aber immer noch darauf bedacht die Bewegung richtig auszuführen. Wieder hebt der Luftzug meinen Oberkörper in die Höhe. Langsam traue ich mir mehr zu und schlage stärker mit den Flügeln. Gerade als ich auch mit den Hinterbeinen nicht mehr den Boden berühre und das Gefühl habe, alles ganz gut im Griff zu haben, fegt eine starke Windböe vom Meer her durch die Bäume. Ich verliere das Gleichgewicht und purzele zu Boden. Fluchend rapple ich mich auf.
Ich kann vielleicht die Bewegungen, aber das heißt noch lange nicht, dass ich fliegen kann. Zum fliegen gehört mehr dazu, wie ich gerade gemerkt habe. Ich überlege; ich muss lernen mit dem Wind klarzukommen und auch wie man lenkt, ansonsten kann ich meine Flucht vergessen. Auch sonst habe ich sicher noch viel zu lernen, bevor ich richtig fliegen kann.
Ich schaue in den Himmel und bemerke, dass er schon merklich dunkler wird. Erschöpft lege ich mich an den Rand der Lichtung. Es war ein langer Tag. Bis jetzt hatte ich noch nicht wirklich die Zeit, über das Geschehene nachdenken zu können. Die Verwandlung zum Nachtschatten, die Flucht vor meinen Freunden. Vor allem letzteres macht mich fertig. Ich mache ihnen keine Vorwürfe, dass sie mich jagen. In ihren Augen bin ich nichts weiter als ein Drache; ein gefährlicher Drache. Doch dass macht es für mich nicht leichter. So ungerne ich auch von ihnen gefangen werden will, denke ich nicht, dass ich mich gegen sie verteidigen möchte, auch wenn sie mir keine Wahl lassen. Es sind die Leute mit denen ich aufgewachsen und mein ganzes Leben verbracht habe, meine Freunde, meine Familie. Was wenn ich sie verletze? Meine einzige Möglichkeit ist es, von hier zu verschwinden bevor sie mich finden.
Gedankenverloren lege ich meinen Kopf auf meine Arme … Vorderbeine.
Was ist, wenn ich keinen Weg finde, es Rückgängig zu machen? Was ist, wenn ich nicht mehr zurückkommen kann, sobald ich erst Fallow verlassen habe? Ich würde meinen Vater und meine Freunde nie wiedersehen. Ich würde für immer ein Drache sein müssen.
Ich glaube ich hab einfach Angst, dass die Flucht von Fallow, eine Entscheidung ohne Rückkehr ist. Und niemand wird wissen, was wirklich mit mir passiert ist. Sehr wahrscheinlich, werden mich meine Freunde für Tod halten. Ich könnte mich nicht mal von meinem Vater verabschieden.
Seufzend schließe ich meine Augen und schlafe trotz unruhiger Gedanken ein.

Ein Geräusch weckt mich. Verschlafen hebe ich meinen Kopf und lausche angestrengt. Es ist erst kurz vor dem Morgengrauen und selbst die Vögel schweigen noch. Durch meine Drachenohren, hat sich mein Gehört deutlich verbessert. Vielleicht ist es nur ein Tier gewesen, überlege ich. Doch plötzlich höre ich ein dumpfes Trampeln.
Es sind Schritte! Mit panisch aufgerissenen Augen rapple ich mich auf. Ich muss hier weg.
Überstürzt stürme ich los, ohne nachzudenken und lande gleich wieder auf dem Boden. Ich habe nicht an mein zusätzliches paar Beine gedacht. Knurrend rappele ich mich wieder auf, nur um eilig den Weg zur Klippe einzuschlagen. An dem steinigen, unbewaldeten Stück vor der abrupt abfallenden Küste bleibe ich stehen und schaue zurück.
Ich höre sie näher kommen und kann sogar schon ab und zu eine Laterne zwischen den Bäumen aufblitzen sehen. Erst aus der Position der Gejagten fällt mir auf, wie dämlich es ist, einen Drachen wie einen Nachtschatten so zu jagen. Ein Drache hört es rechtzeitig und man hat nichts weiter erreicht, als ihn auf zu scheuchen. Zu meinem Glück haben wir uns nie Gedanken über die Perspektive eines Drachen gemacht.
Ich wende meinen Blick auf den Ozean.
Ich weiß nicht, ob ich schon wirklich fliegen kann. Schließlich habe ich überhaupt keine Übung. Ich weiß auch nicht ob ich bereit dazu bin. Aber ich muss mich jetzt entscheiden, ob ich fliehe, vielleicht für immer, oder mich fangen lasse. Zögernd trete ich näher an die Steilklippe. Die eigentliche Frage ist: kann ich den einzigen Ort verlassen, den ich je als Heimat gekannt habe, mein Zuhause? Wehmütig schaue ich zurück.
Währenddessen werden die Stimmen hinter mir lauter und einzelne Wikinger tauchen schon am nur einige Meter entfernten Waldrand zwischen den Bäumen auf.


Kapitel 9 – Kampf ums Überleben

Zögerlich weiche ich ein paar Schritte von der Kante zurück.
Jetzt oder nie.
Ich nehme Anlauf und springe. Direkt über die Kante ins nichts. Mitten im Sprung kommen meine Zweifel zurück. Ich kann noch gar nicht fliegen. Während ich falle, starre ich mit weit aufgerissenen Augen dem schnell näherkommenden Wasser entgegen. Neben mir die schroffe Felswand der Klippe. Du musst etwas tun, schießt es mir durch den Kopf. Ruckartig breite ich meine neuen Flügel aus. So wird auch der Fall schlagartig abgebremst und mein Kopf wird nach vorne geschleudert, während ich über das Meer hinweg segle.
Ungläubig fange ich an zu lachen. Ich hab es geschafft. Ich fliege. Eine Böe reißt mich buchstäblich aus der Feierstimmung. Unsanft werde ich zur Seite gedrückt, jedoch kann ich mein Gleichgewicht wieder finden und schaffe es, mich in der Luft zu halten. Hinter mir höre ich wütende Schreie und Stimmen, die trotz des Windes noch bis zu mir dringen. Eine Stimme erkenne ich klar und deutlich: Es ist mein Vater. Ich zwinge mich, nicht zurück zu schauen, und schlage versuchsweise ein wenig mit den Flügeln. Sogleich werde ich ein wenig schneller und vergrößere den Abstand zu der Insel hinter mir. Meinem Zuhause.
Ich bin zwar jetzt außerhalb der Reichweite meiner Freunde, allerdings liegt der schwierige Teil erst noch vor mir, wie ich schnell merke. Ich halte direkt auf die Odin Klippen zu und das nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Wenn ich nicht schleunigst lerne wie man lenkt, bin ich geliefert.
Probeweise verlagere ich mein Gewicht nach rechts. Das Ergebnis ist, dass ich leicht nach rechts abdrifte. Nicht das, was ich mir vorgestellt hatte, jedoch ein Anfang.
An dem ersten aufragenden Felsen komme ich dadurch gerade noch so vorbei, doch beim Darauffolgenden sieht es nicht gut aus. Schnell verlagere ich mein Gewicht auf die andere Seite, allerdings richtet es nicht viel aus und ich krache gegen den Stein. Im letzten Moment, bevor in mal wieder in die Tiefe falle, kralle ich meine Klauen in den Fels. Unkontrolliert schlag ich mit den Flügeln, um den Halt nicht zu verlieren, jedoch ohne dadurch etwas auszurichten. Mit großer Kraftanstrengung ziehe ich mich hoch und über die Kante. Auf der kleinen Fläche, die der Fels bietet, verschnaufe ich kurz. Hinter mir höre ich weiterhin die verärgerten Stimmen der Wikinger meines Dorfes. Ich widerstehe dem Drang mich einfach hier hinzulegen, die Augen zu schließen und mir zu wünschen ich wäre wieder bei mir zu Hause im Dorf. Als Mensch. Wie es sein sollte.
Doch das bringt auch nichts. Stattdessen werfe ich lediglich einen Blick zurück. Wann ich meine Insel wohl wiedersehen werde?
Doch erst mal wende ich mich nach Westen. In dieser Richtung müsste ganz in der Nähe eine kleinere, unbewohnte Insel sein. Ich kann jetzt nicht zurückkehren. Nicht so.
Mit flatternden Flügelschlägen steige ich in die Luft und fliege unbedarft über die Odin Klippen hinweg. Dabei merke ich, wie ich meine Höhe variieren kann. Stärkere Flügelschläge schneller hintereinander lassen mich höher steigen. Wie ich wieder runter komm, kann ich mir auch so denken.
Bei jedem Flügelschlag aufs Meer hinaus, spüre ich regelrecht, wie ich mich immer weiter von meinem Leben entferne. Ich starre traurig, aber auch wütend auf den Horizont. Auf eine ungewisse Zukunft. Mein vertrautes Zuhause mit einem Platz, wo ich hingehöre, wurde gegen ein Leben als Drache ausgewechselt.
Schnaubend schlage ich in die Luft. Dabei gerate ich aus dem Gleichgewicht, was ich durch einen Schlenker ausgleichen muss.

Schon nach kurzer Zeit, in der Fallow allerdings schon weit hinter mir zurück geblieben ist, merke ich, dass Fliegen weit anstrengender ist, als ich es mir vorgestellt hatte. Auch meine fehlende Übung macht sich langsam bemerkbar. Meine Flügelschläge werden unregelmäßiger und ich verliere rasch an Höhe.
Ein Gedanke schießt mir in den Kopf: Wenn ich hier abstürze und im Wasser lande, werde ich auch keine Kraft mehr haben, um schwimmend die Insel zu erreichen und ich werde ertrinken.
Gerade in diesem Moment taucht in weiter Ferne ein dunkler Punkt am Horizont auf. Die Insel! Ich sammle noch einmal meine Kräfte und lege mehr Energie in meine Flügelschläge. Ich muss diese Insel erreichen!
Doch trotzdem komme ich schnell an das Ende meiner Kräfte, lange bevor ich auch nur in die Nähe des rettenden Ufers kommen konnte.
Mit einem Platschen lande ich im kalten Meerwasser. Jedoch spüre ich kaum etwas von der Kälte. Wohl ein Vorteil der offensichtlich dickeren Drachenhaut, wie ich zugeben muss.
Eine Welle schlägt über meinem Kopf zusammen und überspült mich mit Wasser. Mit meinen Beinen wild strampelnd halte ich mich über Wasser und schnappe nach Luft. Wieder eine Welle und meine schwindenden Kräfte sorgen dafür, dass ich unter Wasser gedrückt werde. Plötzlich taucht neben mir ein Kopf aus den Tiefen des Meeres auf. Ein wirklich riesiger Kopf. Ich schrecke zurück, während die Gestalt an mir vorbei gleitet gefolgt von einem langen Hals. Ein Drache!
Er wird mich fressen, schreit mein Verstand und langsam gerate ich in Panik. Immer noch unter Wasser die Luft anhaltend, arbeite ich mich zurück an die Oberfläche. Dort angekommen habe ich keine Zeit lange durchzuatmen, denn neben mit taucht wieder das große grüngeschuppte Horn des Drachen auf. Mit Sauerstoff lässt es sich gleich viel besser nachdenken, jedoch habe ich keine bessere Idee, als den Drachen versuchen zu vertreiben. Ich sterbe doch lieber ertrinkend, als für einen Drachen als Mahlzeit zu Enden.
Also schlage ich nach dem Kopf des Drachen, der gerade wieder neben mir ankommt. Ich erreiche ihn kaum und meine Krallen könne dadurch keinen großen Schaden angerichtet haben. Doch tatsächlich dreht dieser ab und ich sehe zum ersten Mal das wahre Ausmaß des gegnerischen Drachenkörpers. Allerdings nicht für lange, denn schon versinke ich wieder im Wasser. Unter Wasser entdecke ich schemenhaft, wie sich der riesige Drache entfernt.
Immer noch den Schrecken in den Gliedern, konzentriere ich mich wieder auf mein eigentliches Ziel: die Insel zu erreichen. Als mein Kopf zwischen zwei Wellen aus dem Wasser ragt, sehe ich sie deutlich am Horizont. Ich versuche in diese Richtung zu schwimmen, werde jedoch regelmäßig wieder unter Wasser gedrückt. So werde ich nicht mehr lange durchhalten. Vor Erschöpfung am ganzen Körper zitternd, vielleicht liegt es auch an der Kälte, sinke ich zwischen meinen Schwimmzügen immer tiefer.
Ich schaffe es nicht zur Insel. Ich werde ertrinken. Keine Chance, dass ich die Insel doch noch erreiche.
Völlig erschöpft und hoffnungslos höre ich auf zu schwimmen; höre auf gegen das Unvermeidliche anzukämpfen. Ein letztes Mal schnappe ich nach Luft, dann werde ich von einer weiteren Welle überspült und sinke in das tiefe Blau. Irgendwie friedlich, denke ich mir, als ich in die weite Tiefe blicke.
Plötzlich werde ich zurückgezogen. Ich höre das flatternde Geräusch von Flügeln, doch ich nehme alles nur verschwommen war.
Ich huste Wasser, dann wird die Welt um mich herum schwarz.


Kapitel 10 - Verloren

Das Erste, was ich wahrnehme, als ich langsam wieder zu mir komme, ist der feste Boden, auf dem ich liege. Ich versuche mich zu erinnern, was passiert ist, allerdings kommen die Erinnerungen nur nach und nach zurück. Ich weiß noch, dass ich am Ertrinken war, bevor ich das Bewusstsein verloren habe. Aber warum bin ich dann nicht tot? Bin ich tot?
Nun scheinen auch meine anderen Sinne zu erwachen. Entferntes Rauschen ordne ich Wellen zu, die am Strand brechen, das Kreischen über mir, Möwen. Auch den salzigen Geruch des Meeres kann ich erkennen. Darunter mischt sich ein leicht fischiges Aroma. Ich hab seit dem Morgen, an dem ich mich verwandelte, nichts mehr gegessen. Knurrend erinnert mich auch mein Magen daran.
Also ich bin nicht tot, schließe ich. Aber warum nicht?
Irritiert öffne ich nun meine Augen. Wie vermutet liege ich nicht unweit des Meeres auf einer flachen Felsküste mit runden, abgeschliffenen Felsen. Wenige Meter entfernt, befindet sich ein kleiner Haufen Fisch. Ich blicke um mich. Dies ist die Insel, die ursprünglich mein Ziel gewesen ist. Doch wer hat mich hier hergebracht? Hat derjenige die Fische gefangen?
Plötzlich fällt ein Schatten auf mich und vor mir landet ein großer Drache mit leuchtend orangen Schuppen. Hastig rapple ich mich auf und bereite mich auf einen Angriff vor. Der Riesenhafte Albtraum ist groß für seine Art und weißt damit etwa das Doppelte meiner Größe auf. Immer noch berechnend und bereit einen Angriff abzuwehrend, beobachte ich ihn abmessend. Doch mein Gegenüber deutet nichts dergleichen an. Stattdessen fügt er einige Fische aus seinem Maul dem vorhandenen Haufen hinzu. Weiterhin bereit bei jedweder Gefahr ab zuhauen, schaue ich ihm verwundert zu.
Belustigt schaut der Drache zurück. „Hier, die sind für dich“, fängt er an und deutet auf den Haufen. Verwundert starre ich ihn an. Ich hatte keine Ahnung, dass Drachen miteinander sprechen. Noch weniger hatte ich gedacht, dass ich es verstehen könnte. „Du bist doch sicher hungrig. Du hattest Glück, dass mir dieser Glutkessel bescheid gegeben hat. Ich hätte dich fast nicht mehr rechtzeitig gefunden.“
Verblüffung macht sich in mir breit. Er hat mich gerettet? Ein Drache? Ich hatte immer gedacht, Drachen kümmern sich nur um sich selbst.
„Hey, ist alles in Ordnung?“ Er blickt mich forschend an. „Der Glutkessel sagte schon, du wärest ziemlich durcheinander. Er sagte auch, du hättest nach ihn geschlagen, aber warum solltest du das tun? Das ergäbe keinen Sinn. Auf mich machst du einen recht vernünftigen Eindruck.“
Da hatte ich nicht einmal eine Ahnung, dass Drachen sprechen und nun hört dieser hier nicht mehr auf damit.
„Was hattest du eigentlich so dicht bei dieser Insel zu suchen? Du kommst nicht von hier, stimmt’s? Denn dann wüsstest du, dass auf dieser Insel Wikinger leben.“
So hatte ich mir ein Zusammentreffen mit einem Riesenhaften Albtraum nicht ansatzweise vorgestellt.
Während dieser weiter redet, schiebt er mir einen großen Teil des Haufens zu. Ohne ihm weiter zuzuhören, beiße ich genüsslich in den ersten Fisch. Wer hätte gedacht, dass roher Fisch so lecker sein kann?
Trotz meiner Nervosität wegen des Drachens, obwohl dieser einfach neben mir seine Fische frisst, kann ich mein Mahl genießen. Gesättigt verschlinge ich den letzten Fisch.
„Ich hab ja schon öfters gehört, dass Nachtschatten wortkarg sein sollen, aber du scheinst gerade so als hättest du deine Zunge verloren.“
„Danke für die Rettung und den Fisch“, bedanke ich mich reserviert und wende mich ab, um im Wald zu verschwinden. „Keine Ursache“, ruft der Albtraum mir verstimmt hinterher.

Während ich durch den Wald laufe, erlaube ich mir noch nicht an zu Hause zu denken. Stattdessen schweifen meine Gedanken zu diesem Drachen von vorhin. Mir ist bewusst, dass ich mich ziemlich unhöflich verhalten habe, aber ist nur ein Drache.
Drachen retten einen nicht einfach selbstlos. Wahrscheinlich hatte er irgendwelche Hintergedanken. Ganz sicher hatte er die. Wieso sonst hätte er mich, eine absolute Fremde, retten sollen?
Über mir türmen sich Wolken zu einem grauen Ungetüm auf und ein heftiger Wind pfeift durch die Bäume. Ein Blick in den Himmel verrät mir, dass es wohl bald anfangen wird zu regnen. Ich sollte mir schleunigst einen Unterschlüpf suchen.
Über dem Wald ragt ein großer Felsen in den nun immer dunkler werdenden Himmel. Vielleicht gibt es darin schützende Höhlen, überlege ich. Schnell mache ich mich auf den Weg in diese Richtung.

Skeptisch betrachte ich die kleine Höhle vor mir. Sie ist gerade so groß genug, dass ich als Drache rein passen könnte, aber wirklich gemütlich sieht sie nicht aus. Ich werfe einen Blick in den Himmel. Noch hat es nicht angefangen zu regnen, also beschließe ich weiter zu suchen. Nach einiger Zeit werde ich fündig. Zwar liegt die Höhle ein paar Meter über dem Boden, aber mit dem kleinen Vorsprung am Eingang der Felshöhle, sollte es mir möglich sein, hoch zu klettern. Mit einem Sprung bin ich, sogar besser als erwartet, schon beinahe am Vorsprung angelangt. Ich kralle mich in eine schmale Rille und ziehe mich auf das flache Stück.
Die Höhle wirkt geräumig und reicht nicht so tief in den Fels, dass sich dort unbemerkt jemand aufhalten könnte. Auch wegen des Regens muss ich mir erst mal keine Sorgen machen. Der Eingang ist recht klein im Gegensatz zum Rest der Höhle, allerdings immer noch größer als die erste Höhle, die ich fand.
Halbwegs zufrieden trete ich in den Schatten der Höhle. Gerade rechtzeitig, denn mit einem mächtigen Donnern öffnet Thor die Himmelschleusen und in Strömen ergießt sich der Regen außerhalb meines Unterschlupfes auf die Erde.
Langsam komme ich nach der Aufregung der letzten Tage zur Ruhe und lege mich auf den kalten Höhlenboden. Begleitet vom beständigen Rauschen des Regens denke ich nach. Das Wetter passt zu meiner trüben Stimmung. Ich bin alleine. Wirklich alleine. Mein ganzes Leben lang wusste ich immer genau, was ich zu hatte. Jetzt hab ich keine Ahnung wie es weitergehen soll. Ich hab alles verloren. Meine Insel. Meine Freunde. Meine Familie. Mein ganzes Leben, gefühlte Welten entfernt. Eine einsame Träne rollt meine Wange hinab.


Verzweifelt umklammert sie den Griff des Schwertes. In der Hütte ist es still, bis die Tür vorsichtig aufgestoßen wird und zwei Wikinger hineintreten.
„Ihr habt sie nicht gefunden, stimmt’s?“, fragt das Wikingermädchen, welches noch immer regungslos auf dem Bett sitzt. Nun hebt sie ihren Blick. Traurig schütteln die beiden Jungen die Köpfe. „Es sind immer noch Suchtrupps im Wald. Wir werden sie finden.“ Doch der Zweifel in seiner Stimme, straft seinen Worten Lüge.
Das Mädchen steht mit Mühe auf und humpelt ein paar Schritte auf ihre Freunde zu. Entschlossen verkündet sie: „Ich werde euch helfen. Sie ist auch meine Freundin.“ Sanft schiebt einer der Jungen sie zurück zum Bett. „Du musst dich ausruhen. Du kannst ja kaum laufen.“ „Aber... ich kann hier nicht einfach tatenlos rumsitzen. Ich...“, versucht sie zu wiedersprechen, verstummt jedoch mitten im Satz. „Ihr habt ja recht“, lenkt sie kurz darauf ein, „Ich wäre so auch keine große Hilfe.“ Traurig setzt sich das Wikingermädchen zurück auf ihr Bett.
Ihre Freunde erwidern nichts und ein bedrückendes Schweigen erfüllt die Hütte. Sie kennen die Gedanken, die keiner von ihnen wagt, auszusprechen.
Man hat die Sachen ihrer Freundin, nicht unweit eines Nachtschattens, verlassen vorgefunden. Und obwohl man seit Tagen den Wald durchkämt, wurde kein Anzeichen eines Kampfes oder ihren Verbleib gefunden.
Nachdem die beiden Jungen die Hütte verlassen haben, tritt das Wikingermädchen humpelnd ans Fenster und blickt auf das Meer. Dunkel und bedrohlich ragen graue Regenwolken am Horizont über dem aufgewühlten Meer auf. „Wo bist du nur, Svenja?“, flüstert sie in den aufkommenden Sturm.
Während sie so auf das Wasser hinausblickt, entgeht ihr das kleine Holzboot, welches halb verdeckt hinter einer Küstenbiegung das Dorf beobachtet.


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